ADB:Salvotti, Anton von

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Artikel „Salvotti, Anton von“ von Karl Heinrich Hugelmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 772–779, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Salvotti,_Anton_von&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 10:21 Uhr UTC)
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Salvotti *): Anton S., Freiherr v. Eichenkraft und Bindeburg, österreichischer Reichsrath, entstammte einer alten, in Südtirol begüterten Familie. Er wurde zu Mori am 10. December 1789 geboren; seine Jugend fiel daher in die von Coalitionskriegen bewegte und zwar gerade seine eigene Heimath heftig erschütternde Zeit. Im J. 1805 ward Tirol von Oesterreich getrennt, der südliche Landestheil mit dem Königreiche Italien, der nördliche mit Baiern vereint. Von diesen politischen Ereignissen scheint Salvotti’s Studiengang mitbestimmt gewesen zu sein. Nachdem S. die Rechtsstudien an der Universität in Innsbruck begonnen hatte, bezog er nämlich zunächst die Universität Landshut in Baiern, an welcher damals Savigny lehrte, und dann die Universität Pavia in Italien. In Landshut hatte S. das Glück, als Schüler Savigny’s in dessen engeren Kreis gezogen zu werden, um von da an mit dem Meister der deutschen Rechtswissenschaft bis [773] zu dessen Tode in naher Freundschaft verbunden zu bleiben. Dieser Kreis in Landshut ist in der Litteratur ausgezeichnet durch die Erinnerung, welche Bettina in dem Briefwechsel Goethe’s mit einem Kinde niedergelegt hat, und die fascinirende Persönlichkeit Salvotti’s tritt schon in dem hier von Mädchenhand entworfenen Porträt des Jünglings klar zu Tage. Der junge Italiener mit seinen schönen Augen, so heißt es dort, wird täglich blasser, schlanker, interessanter; im weiten grünen Mantel, der die edelsten Falten um seine feste Gestalt wirft, zieht er die Blicke auf sich, unstörbare Ruhe in den Bewegungen, glänzende Regsamkeit im Ausdruck. Und diese Schilderung wird gewiß durch Bettina’s beigefügte schalkhafte Bemerkung nicht beeinträchtigt, es habe sich kein gescheut Wort mit ihm sprechen lassen, so tief sei er in Gelehrsamkeit versunken gewesen. Als Savigny nach Ostern des Jahres 1810 von Landshut den, wie Bettina anschaulich schildert, die ganze Universität tief bewegenden Abschied nahm, da war S. einer jener sechs geliebtesten Schüler, welche dem theueren Lehrer noch bis Salzburg das Geleite gaben. Der erste und älteste aus diesem studentischen Gefolge, Nepomuk Ringseis, der nachmals berühmte Arzt der Münchener Hochschule, hat nach vielen Decennien in seinen Lebenserinnerungen bei der Erwähnung der Genossen aus dem Savigny’schen Kreise Salvotti’s in der ehrendsten Weise gedacht. S. habe seinem Lehrer große Ehre gemacht und in Grundsätzen wie persönlich ihm treueste Anhänglichkeit bewahrt.

Ueber die weiteren Jugendschicksale Salvotti’s fließen die Quellen nicht so reichlich. Sicher ist nur, daß S. an der Universität Pavia den juridischen Doctorgrad erwarb und in Mailand in die juristische Praxis eintrat; es scheint, daß diese Praxis die advocatorische war.

Wie das Studium in Landshut den Grund zu jener gemeinrechtlichen Bildung legte, durch welche sich S. später in der österreichischen Juristenwelt auszeichnete, so wurzelte die Kenntniß des französischen Rechtes und die Vorliebe für französische Justizeinrichtungen, welche S. bis zu seinem Lebensende eigen war, sicherlich in diesen Jugendeindrücken, welche er in den letzten Jahren der französischen Herrschaft in Italien empfing. Noch vor dem Sturze der letzteren kehrte er aber in seine Heimath zurück, war in Trient durch kurze Zeit Advocat und trat bei dem Siege der österreichischen Waffen zu Ende des Jahres 1813 in den österreichischen Justizdienst, in welchem er in raschem Laufe Stufe um Stufe zurücklegte.

Nachdem S. bei den provisorischen Gerichten der Uebergangszeit in Trient zuerst als Rath, dann als Staatsprocurator fungirt hatte, wurde er Ende 1815 Landgerichtsrath in Trient und im J. 1819 Assessor bei dem Appellationsgerichte in Venedig. Hier in Venedig begann nun jene vielberufene Thätigkeit in politischen Criminalprocessen, welche in Salvotti’s Amtsleben eines der hervorragendsten Momente bildet. Im J. 1819 war auf kaiserlichen Befehl zunächst in Venedig eine Specialcommission zur Durchführung des Processes gegen die Carbonari aufgestellt worden, und zum Untersuchungsrichter in dieser Commission ward S. gleich bei seiner Ankunft in Venedig ernannt. Es genügt, an die Verurtheilung Silvio Pellico’s in diesem weitwendigen, gegen 40 Beschuldigte geführten Processe zu erinnern, um die Tragweite desselben klarzustellen. Als die Carbonaricommission in Venedig (durch kaiserl. Entschließung vom 29. April 1822) aufgelöst und die Geschäfte derselben den mittlerweile (durch kais. Entschließung vom 7. September 1821) wegen der piemontesischen und neapolitanischen Unruhen errichteten Specialcommissionen I. und II. Instanz in Mailand zugewiesen wurden, trat S., gleichzeitig zum Rathe des Appellationsgerichts in Mailand befördert, als das vorzugsweise mit der Untersuchung zu betrauende Mitglied in die Commission I. Instanz. In dieser Eigenschaft hattes er den Proceß gegen den Grafen Confalonieri [774] und Genossen zu führen, welcher wie der Venetianer Proceß mit der Verurtheilung der meisten der Beschuldigten schloß.

Bei dieser politisch eingreifenden Wirksamkeit war natürlich die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf S. gerichtet, und es konnte nicht fehlen, daß der Haß der durch den Urtheilsspruch getroffenen Parteien sich unauslöschlich gegen ihn kehrte. Wie in den Tagen der Bewegung selbst, so erscholl auch nach Decennien noch der Ruf der Verwünschung gegen S. aus allen jenen Kreisen, welche mit der Sache der italienischen Revolution sympathisirten. S. war sich dessen wohl bewußt; mit stolzem Selbstgefühl erklärte er nach Jahren in einer amtlichen Rechtfertigung: „Wer Confalonieri als einen Märtyrer betrachtet, muß mich hassen.“ Heute, da das Werk der italienischen Einheitsbewegung abgeschlossen vorliegt, sollte ein ruhiges Urtheil möglich sein. Auch auf jener Seite, welche Italiens politische Einheit mit rückhaltloser Freude begrüßt, müßte zugegeben werden, daß Salvotti’s italienische Nationalität ihn der Pflicht nicht entheben konnte, welche ihm seine Stellung als österreichischer Richter auferlegte. Wohl ist die Specialcommission im ganzen weiter gegangen, als die Behörden es für möglich hielten; sie hat politische Verbrechen aufgespürt, wo man von Seite der Behörden nichts Arges ahnte, so z. B. bei der Verhaftung des Prätors Solera. Ihr Eifer war aber ein rücksichtsloser und hat, wie actenmäßig feststeht, zum Unterschiede von der Schwäche oder Grundsatzlosigkeit der politischen Behörden auch die vertrauten Organe der Regierung selbst nicht verschont, wenn dieselben des Carbonarismus verdächtig waren. Und wenn man endlich den Angriffen auf den Grund gehen will, so sind in der Mehrzahl der Schriften, welche sich gegen S. kehren, nur allgemeine, schwer controlirbare Beschuldigungen, so jene der Erpressung von Geständnissen, enthalten. In den Memoiren Andryane’s, des Gefängnißgenossen Confalonieri’s im Spielberge, kommen allerdings ausführliche Mittheilungen über die Vorgänge im Mailänder Processe vor. Aber auch hier treffen die Vorwürfe zum größten Theile nur das durch die damalige österreichische Gesetzgebung vorgeschriebene geheime, inquisitorische Verfahren. Und was die gegen S. selbst in dieser Erzählung gerichtete Beschuldigung betrifft, er habe außer den Verhören durch Versprechungen und Drohungen in der Gefängnißzelle selbst auf den Häftling eingewirkt, so tragen diese Memoiren so sehr das Gepräge des Romanhaften an sich, daß sie uns von vornherein als ungeeignet erscheinen, um in dieser Richtung als ein Beleg zu gelten.

Wenige Monate nach der Verkündigung des Urtheils gegen Confalonieri und Genossen (nämlich mit kais. Entschl. vom 26. April 1824) ward S. zum Hofrath bei dem Veroneser Senat der obersten Justizstelle ernannt, verblieb aber auf kaiserlichen Befehl zunächst noch in der Mailänder Specialcommission und trat sein Amt in Verona erst am 15. Februar 1825 an. Im Alter von 34 Jahren war S. somit Rath des höchsten Gerichtshofes geworden; ein deutliches Zeichen des fortdauernden Vertrauens von Kaiser Franz, welches ihn bisher begleitet hatte, und, was auch den Gegnern bedeutsam erscheinen sollte, des Vertrauens des Richtercollegiums im Veroneser Senate, von welchem er einstimmig primo loco zur Ernennung vorgeschlagen worden war.

Hiermit tritt aber in Salvotti’s Laufbahn ein Stillstand ein. S., der alle Stufen der Justizhierarchie bis zu dieser letzten in einem Decennium zurückgelegt hatte, verblieb in der Stellung im Veroneser Senat durch mehr als 20 Jahre. In diese Zeit fiel der Thronwechsel; bei der Krönung Kaiser Ferdinand’s als König von Lombardo-Venetien (1838) wurde ein Füllhorn von Ehrenbezeigungen in Lombardo-Venetien ausgestreut; S. ging dabei leer aus. Erst im Jahre 1842, als S. schon im Senium des Veroneser Senates stand, erhielt er den Leopoldsorden. Im J. 1844 war die Stelle des Vicepräsidenten des Appellationsgerichts [775] in Venedig erledigt, und in dem Besetzungsvorschlag wurde Salvotti’s glänzende Befähigung und Thatkraft, seine hervorragende juristische Bildung und seine besondere Eignung zu Gesetzgebungsarbeiten in den leuchtendsten Farben geschildert; die Stelle blieb aber auf Grund kais. Entschließung unbesetzt. Offensichtlich war seit dem Thronwechsel die Kraft des Widerstandes gegen die italienische Bewegungspartei eine geringere geworden und man glaubte, jene Personen nicht mehr auszeichnen zu dürfen, welche früher im Vordergrunde gestanden waren. Dieses Schwinden von Salvotti’s Einfluß blieb natürlich nicht unbemerkt und so ist es sehr begreiflich, daß der Muth zum Angriff gegen ihn wuchs. Salvotti’s wegwerfende Aeußerung bei einem Theaterscandal in Verona am 25. Januar 1846, die Polizei solle durch Arretirungen Ordnung schaffen, gab den Anstoß zu Demonstrationen, welche in Schmählibellen gipfelten und ihr nächstes Ziel sehr bald erreichten; S. wurde durch kais. Entschließung vom 18. Juni 1846 zum Vicepräsidenten des Appellationsgerichtes in Innsbruck ernannt und damit vom italienischen Boden entfernt.

Wohl eröffnete sich später die Aussicht, daß die Präsidentenstelle des Veroneser Senates in Erledigung kommen sollte, und es bestand, wie aus den Acten erhellt, kein Zweifel, daß ein S. ebenbürtiger Rivale für diese Stellung nicht vorhanden war. Allein es war bestimmt, daß S. auf italienischem Boden nicht mehr wirken sollte; er wurde wohl schon im J. 1847 (mit kais. Entschließung vom 10. Juli) durch die Verleihung der geheimen Rathswürde ausgezeichnet, dann bei der Neuorganisirung der Gerichte nach dem Jahre 1848 (mit kais. Entschließung vom 28. December 1849) zum Präsidenten des neu errichteten Senates des Tiroler Ober-Landes-Gerichtes in Trient ernannt; nach Lombardo-Venetien kehrte er nicht mehr zurück. Wenn man daher fragt, und zur Beurtheilung der Angriffe auf S. ist diese Frage von Gewicht, ob S. aus seiner angefeindeten öffentlichen Thätigkeit auf die Dauer Vortheil gezogen habe, so muß die Antwort verneinend lauten. Im Gegentheil, man kann mit voller Sicherheit behaupten, daß S. zu den höchsten Stellen der Justiz nur deshalb nicht aufgestiegen ist, weil er sich für den Staat zu sehr exponirt und den Haß der politischen Parteien zugezogen hatte. Mit dem Jahre 1851 schloß aber überhaupt Salvotti’s Wirksamkeit in der Justizsphäre ab, denn mit kais. Entschließung vom 13. April 1851 wurde er zum Mitgliede des neu geschaffenen ständigen Reichsraths in Wien ernannt.

S. stand nunmehr – auch an äußeren Ehren reich, denn die Mitglieder des Reichsrathes besaßen den Rang von Statthaltern – in jenem Thätigkeitsfelde, auf welches competente Beurtheiler seiner Persönlichkeit schon längst hingewiesen hatten, nämlich in Mitten der Legislation. Trotzdem möchten wir es aber nach manchen Anzeichen bezweifeln, daß es S. gelungen sei, im Reichsrathe einen großen Einfluß zu erringen. In seinem Wesen war S. trotz seiner politischen Anschauungen ein Italiener, seiner juristischen Denkungsart zufolge ein Anhänger der historischen Schule Deutschlands und Gegner der vormärzlichen österreichischen Jurisprudenz; er mußte somit in dem neuen Kreise zu Wien in vielfacher Beziehung als ein fremdartiges Element erscheinen. Es läßt sich daher ganz gut verstehen, wenn eine biographische Skizze sich zu erwähnen bemüßigt sieht, daß S. „fast nirgends vertrauensvollen Sympathieen begegnete“. Zudem ist es undenkbar, daß die bureaukratische Centralisation, welche in den fünfziger Jahren die innere Staatspolitik Oesterreichs beherrschte, mit den Ansichten Salvotti’s von den Gesetzen geschichtlicher Entwicklung übereinstimmte. Nur bei einer großen Staatsaction jener Zeit, dem Concordat mit Rom, läßt sich in der Hauptsache Salvotti’s Einverständniß voraussetzen und hier ist auch seine amtliche Mitwirkung eine hervorragende gewesen.

[776] S. gehörte zunächst jener Fünfer-Commission an, welche durch kais. Cabinetsschreiben vom 2. December 1851 unter Vorsitz des Cultusministers Graf Leo Thun zur Berathung eines neuen Ehepatentes eingesetzt wurde; sodann jenem Comité, welches durch kais. Resolution vom 14. September 1852 unter dem Vorsitz des Reichsraths-Präsidenten Baron Kübeck zur Berathung des Concordates zusammenberufen war; endlich der am 29. August 1855 bestellten Subcommission von 3 Mitgliedern, welche die Durchführungsmaßregeln zum Concordat zu berathen hatte. Wie S. sich bei dieser großen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche zu den Einzelfragen verhielt, ist damit natürlich nicht entschieden; es ist möglich, daß er trotz seiner principiellen Zustimmung bei weitgehenden Concessionen an die Kirche ein hemmender Factor war, wie von befreundeter Seite versichert wird. Was Salvotti’s Haltung während der Comitéberathungen betrifft, so gilt für S. so gut wie für die anderen Theilnehmer an diesen Verhandlungen das Wort, daß die Geschichte des Concordates noch nicht geschrieben ist. Aber das Urtheil Salvotti’s über das Ganze liegt in seinem veröffentlichten Briefe an Cardinal Rauscher vor; es sei nöthig gewesen, „die Kirche aus einer faulen Ruhe zu heben, in der man sie gerne gelassen hätte, um sie nach Umständen zu benützen oder zu ignoriren“.

Mit dieser Thätigkeit Salvotti’s bei den Concordatsverhandlungen hängt wahrscheinlich die Verleihung des Commandeurkreuzes des Leopoldordens (durch kais. Handschreiben vom 2. März 1854) zusammen. Infolge hiervon gelangte S. zur Baronie, nachdem er schon acht Jahre früher, nach seiner Versetzung nach Innsbruck, in den Ritterstand erhoben worden war. Er hatte sich bei letztgenanntem Acte das Prädicat „Eichenkraft“ gewählt und verband damit nun als zweites das Prädicat „Bindeburg“; gleich der Wappendevise „Rumpor non flector“ sollte der Adelsname sichtlich die Lebensführung des Adelserwerbers zum Ausdruck bringen, die Verknüpfung italienischen und deutschen Volksthums, das unerschütterliche Einstehen für den völkervereinigenden österreichischen Staatsverband.

Der Umschwung, welcher nach 1859 in Oesterreichs Staats-Verhältnissen eintrat, ergriff in erster Linie den Reichsrath. Dieser ward ausersehen, den Uebergang in eine Volksvertretung des Reiches zu vollziehen, und so erfolgte zunächst (durch kais. Verordnung vom 5. März 1860) bis zur Constituirung von Landesvertretungen die Verstärkung des Reichsrathes durch Vertrauensmänner der Krone aus den einzelnen Kronländern. In dieser, wenn auch nicht öffentlich, so doch in parlamentarischen Formen verhandelnden Körperschaft wurde S. sowohl in das große Comité zur Berathung des Staatsvoranschlages als in die Commission zur Berathung der Grundbuchordnung gewählt. In den Reden, welche S. im Plenum gehalten, tritt, allerdings durch das sichtliche Streben, zu glänzen, etwas getrübt, seine große Kenntniß heimischer und fremder Rechtszustände, sein tiefer juristischer Blick und sein eigenartiger politischer Standpunkt klar hervor.

So verneint er gegen den Justizminister von vornherein, auf die Erfahrungen in Italien und Deutschland gestützt, die als eine Consequenz des einheitlichen materiellen Civilrechts behauptete Nothwendigkeit eines einheitlichen Grundbuchrechtes; die Formen in Grundbuchsachen, so sagt er, seien verschieden nach der Verschiedenheit der Länder, der Cultur und der Eigenthumsverhältnisse, und die Grundbuchordnung selbst sei daher am besten den verschiedenen Landesvertretungen zu überweisen. In ähnlicher Weise unterstützt er die locale Anpassung der Forstgesetze. Er kämpft sodann mit Lebhaftigkeit und auch mit Erfolg dagegen, daß die Subventionirung einzelner Provinzen aus dem Staatsschatze als Unbilligkeit gegen die übrigen Länder bezeichnet werde, denn dies sei ein materialistischer [777] Grundsatz: es gebe höhere Rücksichten, welche aus dem Wesen der Staatsverbindung fließen, und ein Land könne, was ihm an materiellen Mitteln fehle, in anderer Weise ersetzen, wie es z. B. Tirol im J. 1809 gethan. Er läßt ferner die Berathung des Justizbudgets nicht vorübergehen, ohne der Nothwendigkeit einer eingreifenden Justizreform das Wort zu reden; ein Justizministerium sei nur da nöthig, wo die Rechtspflege von der Verwaltung getrennt sei; die Herstellung eines auf seine natürliche Aufgabe, die streitige Gerichtsbarkeit, beschränkten Gerichtsorganismus sei die Bedingung einer großen Ersparung im Justizbudget; diese Organisation, sowie die Einführung des öffentlichen, wahrhaft mündlichen Verfahrens auch in Civilangelegenheiten sei vor allem anzustreben.

Am eingehendsten hat schließlich S. seinen Standpunkt in der Debatte über die politischen Schlußanträge der Budgetcommission gekennzeichnet. Er schloß sich dem viel berufenen Majoritätsvotum an, welches die Kräftigung und gedeihliche Entwicklung der Monarchie in erster Linie von der Anerkennung der historisch-politischen Individualität der einzelnen Länder abhängig erklärte, und trat im Plenum zweimal für dasselbe ein. Er ging hierbei von der Nothwendigkeit einer starken centralen Macht in Oesterreich aus, ja, er betonte dieselbe mit Emphase; aber er setzte hinzu, daß das geistige Einheitsband in diesem eigenthümlich gegliederten Staate nur das dynastische sein könne. Nur in der Zustimmung der Bevölkerung zu den Maßregeln der Regierung liege die wahre Kraft eines Staates, nicht in der Einheit der Gesetzgebung. Diese Kraft in der Einheit der Gesetzgebung zu suchen, sei ein Fehler des Alles durchdringenden Bureaukratismus gewesen, und zwar schon aus dem Grunde, weil die Einführung eines allgemeinen Gesetzes wohl den gleichen Buchstaben des Gesetzes, nicht aber das gleiche Recht, zu welchem die geistige Aneignung durch das Volk gehöre, verbürge. Das österreichische bürgerliche Gesetzbuch sei nirgends so freundlich aufgenommen worden als in Lombardo-Venetien, weil gerade hier die Quellen desselben den Juristen am meisten bekannt gewesen seien; man könne aber anderen Ländern, in welchen diese Voraussetzungen fehlen, ein solches Gesetzbuch nicht aufdrängen. Wolle man ein allgemeines Gesetz, dann müsse dieses die Eigenschaft eines subsidiären haben, wie das Römische Recht während des Bestandes des deutschen Reiches und wie das allgemeine Landrecht in Preußen. Aber trotz dieser auf die Berücksichtigung des Partikulären gelenkten Gedankenrichtung huldigte S. der „Autonomie“ der Länder, wie sie damals empfohlen wurde, nur in beschränktem Maaße; der Centralgewalt müsse nothwendigerweise eine Gesetzgebungsgewalt zustehen, weil ein Staat, sei er klein oder groß, ohne die Gewalt der Gesetzgebung nicht denkbar sei.

Diese Rede war Salvotti’s letztes öffentliches Auftreten. Er schloß sie mit folgenden, den Redner charakterisirenden Worten: „Ich bin ein treuer Diener meines Monarchen. Es sind 47 Jahre, daß ich mich in der amtlichen Laufbahn befinde. Was ich für die Sache der Ordnung geleistet habe, steht nicht allein in meinem Bewußtsein; die Geschichte spricht davon. Jene Kraft, jene bestimmte Thätigkeit, mit welcher ich in meiner Jugend mich gegen die revolutionäre Partei erklärte, hat mir den Haß derselben zugezogen, welcher mich während meiner ganzen Laufbahn begleitete, und in diesem höchst feierlichen Momente muß ich meinem Kaiser sagen, ein nach dem Majoritätsgutachten organisirtes Oesterreich wird auch den bevorstehenden Kampf glücklich bestehen.“

Das Majoritätsvotum des verstärkten Reichsrathes gab bekanntlich für das constituirende Diplom vom 20. October 1860 die Richtung an und in diesem Rahmen hätte auch der ständige Reichsrath einen Platz gehabt. Die Durchführung des Diploms vermittelst der Gesetze vom 26. Februar 1861 blieb aber [778] nicht ganz in den vorgezeichneten Bahnen; der Name des Reichsrathes wurde wohl beibehalten, um die neue Reichsvertretung zu bezeichnen; das Wesen war aber ein anderes. In dem neu geschaffenen Staatsrathe, welcher in gewisser Art den ständigen Reichsrath ersetzte, hatte Lichtenfels, Salvotti’s geistiger Antipode, den Vorsitz übernommen, und so ist es sehr begreiflich, daß S. gleich Leo Thun und vier anderen Reichsräthen nicht in Wirksamkeit verblieb. Er wurde mit kais. Handschreiben vom 12. März 1861 unter Verleihung des Großkreuzes des Ordens der eisernen Krone in den Ruhestand versetzt.

S. zog sich nach seiner Pensionirung in seine Heimath zurück und hier, in Trient, starb er am 17. August 1866, also gerade in jenen Tagen, in welchen die österreichische Herrschaft in Italien, für welche er einst mit aller Kraft seiner Persönlichkeit eingestanden war, unter dem Getöse der Waffen ihr Ende nahm.

Diese Tragik des Lebensganges wiederholt sich bei S. aber auch noch in seinem eigenen Familienleben in erschütternder Weise. S. hatte sich in der Zeit seiner Wirksamkeit in Venedig mit der Tochter des dortigen Appellationsgerichts-Präsidenten, Anna Fratnich, vermählt. Auf diese Verbindung zweier geistig hochbedeutender Personen fällt kein Schatten. S. selbst erklärte noch nach Jahren, er sei dem gefahrvollen kaiserlichen Rufe, in die Specialcommission in Mailand einzutreten, trotz der Thränen einer liebenden Gattin gefolgt. Desgleichen erfuhren die künstlerischen Neigungen Anna Salvotti’s durch ihre Ehe keinen Eintrag; sie hat sich vielmehr später noch durch ihre Bethätigung auf dem Felde der Malerei, und zwar namentlich als Madonnenmalerin, ihren bedeutenden künstlerischen Ruf erworben. Das tragische Moment liegt in dem Verhältniß Salvotti’s zu dem älteren seiner zwei Söhne (Scipio und Johann), welche im J. 1830 beziehungsweise 1832 zu Verona das Licht der Welt erblickt hatten. Scipio wurde in Wien in eine politische Untersuchung verwickelt, welche am 30. Jänner 1854 mit der kriegsgerichtlichen Verurtheilung zu zwölfjährigem Festungsarrest wegen Hochverrathes schloß. Die Nachsicht des Restes der Strafhaft wurde wohl schon durch kais. Gnadenact vom 19. September 1855 ertheilt und auch die Straffolgen wurden später nachgesehen; Scipio S. hatte aber trotzdem mit den österreichischen Ueberlieferungen seines Vaters bleibend gebrochen und, zum Doctor der Medicin promovirt, erwirkte er sich die Auswanderungsbewilligung nach Italien (vom 31. Mai 1863). Nur der jüngere Sohn, welcher sich noch vor dem Tode des Vaters mit Wilhelmine Gräfin Puppi vermählt hatte (28. April 1866), pflanzte das Geschlecht in Oesterreich fort.

Ziehen wir die Summe von Salvotti’s Leben, so bleibt dasselbe eine leuchtende Erscheinung der Verbindung italienischen und deutschen Geisteswesens und insbesondere der Wirksamkeit eines italienischen Stammesgenossen im österreichischen Staate. Die Bedeutung, welche der Geistesgröße Salvotti’s zukam, ist dauernd festgestellt durch die huldigende Anerkennung, welche ihr der berühmte Systematiker des österreichischen Privatrechtes gezollt hat. In der Vorrede zu dem ersten Bande seines Systems (vom. 2. Februar 1856) hat Josef Unger den lebhaften Dank für die aus dem Verkehr mit S. geschöpfte Förderung seines Werkes mit allem Feuer der Jugend ausgesprochen und S. damit ein unvergängliches Denkmal gesetzt. „Wer je das Glück gehabt hat“, dies sind Unger’s Worte, „mit einem Manne, dessen Geist die gewöhnlichen Dimensionen weitaus überschreitet, in lebhaftem wissenschaftlichen Verkehr zu stehen, von ihm über die schwierigsten Fragen der Wissenschaft Aufklärung, über vielbesprochene Materien neue Aufschlüsse zu erhalten, der wird die Fülle des Dankes ermessen können, welche ich hiermit dem großen Gelehrten, dem tiefen Kenner deutscher und französischer Jurisprudenz, dem Schüler und Freunde Savigny’s aus vollem, warmem Herzen darbringe.“

Die bei Wurzbach angezeigten Schriften. (Die dort citirte biographische [779] Skizze von Hoffinger ist in dem Oesterreichischen Volks- und Wirthschafts-Kalender für 1868 enthalten.) Ferner: Bettina von Arnim, Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde. Berlin 1835. 2. Theil. S. 122, 184–185. – Ringseis, Jugenderinnerungen, in den Historisch-politischen Blättern, 75. Bd., S. 843. – Gualteri[1], gli ultimi rivolgimenti italiani, Firenze, Parte prima 1850. S. 433; Documenti, Volume primo, 1851. Documento XLIII, LXXVII. – Pellico, Silvio, opere compiute. Lipsia. 1834. (Le mie prigioni. Addizioni di Maroncelli.) S. 35, 36, 78. – Andryane, A., Mémoires d’un prisonnier d’état au Spielberg I, II. Paris 1837. – Maasburg, M. Friedrich v., Geschichte der obersten Justizstelle in Wien. Prag 1879. S. 203, 204. – Mages, A. Ritter v. Kompillan, Die Justizverwaltung in Tirol und Vorarlberg. Innsbruck 1887. S. 206. – A. Th. Michel, Beiträge zur Geschichte des österreichischen Eherechtes, 2. Heft. Graz 1871. S. 24 ff. – Wolfsgruber, Cardinal Rauscher. Freiburg i. Br. 1888. S. 152 ff. – Verhandlungen des österreichischen verstärkten Reichsrathes, 1860. Wien, Manz, 1860. I S. 44, 54, 56, 80, 102–104, 274–275, 279–280, 283, 286, 337–339, 342–345; II. S. 252–256, 368–369. – Josef Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechtes. Leipzig 1856. Vorrede, am Schlusse. – Acten der k. k. obersten Polizei-Hofstelle im Archiv des k. k. Ministeriums des Innern; Acten des Veroneser Senates der k. k. obersten Justizstelle in der Registratur des k. k. obersten Gerichtshofes.

[772] *) Zu Bd. XXX, S. 286.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 779. Z. 5 v. o. l.: Gualterio. [Bd. 33, S. 800]