Der Leichenmaler

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Textdaten
Autor: Moritz Gottlieb Saphir
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Titel: Der Leichenmaler
Untertitel:
aus: M. G. Saphir’s Schriften. Cabinets-Ausgabe in zehn Bänden. 1. Band. S. 33-47
Herausgeber:
Auflage: 3. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Fr. Karasiat
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Erscheinungsort: Brünn und Wien
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Der Leichenmaler.

[33]

                                         

„Erinnerung, süßer Demuth Gefährtin,
Wenn diese die Wimper trauernd senkt,
So hebst du den Schleier, und lächelst
Mit rückwärts gewandtem Gesicht.“


Julie, Du süße Rose, die einen kurzen Frühling mir geblüht; Nachtigall, die nur eines Lenzes flüchtigen Tag mir zugesungen; Sternbild, das nur eine beflügelte Stunde lang an meinem Lebenshimmel mild erglänzte; spät mir gegeben, und früh mir geraubt; Julie, wo Du auch seist, hier oder dort einsam des Fernen gedenkend, oder beglückt sein vergessend; in dem Heiligthume der Erinnerung hänge ich diese Zeilen als Votivtafel meines Herzens auf. Weilen Deine Augen je auf ihnen, so gedenke Deines Freundes, dem auf der ganzen Pilgerschaft des Lebens nur Ein Wesen ward, das sein Herz verstand, Du, dem dieses Wesen vielmal liebend die Seele und küssend berührt, und wie ein Traumbild entfloh, und dessen Herz nun hineinschaut in das flache Spiegelglas seines Daseins, ohne daß ihm ein zweites gleiches entgegenschaut.

[34] „Wir müssen sie finden!“ rief Alberto, der stolze, wilde, schöne und reiche Fremde, der seit einigen Wochen die Schönen Münchens in Bewegung setzte. „Wir müssen sie finden!“ rief er noch einmal, ungestüm, seine schwarzen Augen blitzten dabei über die edle, stolz gebogene Nase nieder, und gewaltig zog er seinen Freund, den Maler Alonzo, durch die fluthende Menge. Am chinesischen Thurme war Musik. Auf dem Jaspisteppich der Wiese tummelte sich das Heer der Kinder herum, und um den Circus, der die Militärmusik einschloß, reihten sich Fußgänger, Reiter und Equipagen.

„Wir müssen sie finden!“ rief Alberto zum dritten Male; sie wanden sich durch Pferde und Wagen quer durch. Alonzo, der höfliche Maler, den schönen Mädchen bekannt, grüßte hinüber und herüber, flüsterte da und dort einem silbernen Riegelhäubchen ein Wörtchen zu, worüber die rothen Wangen noch röther, und die leuchtenden, freundlichen Augen noch leuchtender und freundlicher wurden; allein Alberto hatte für nichts Aug’ und Ohr. Er suchte Antonie. Als die beiden Suchenden um die Ecke bogen, sah Alberto die ihm wohlbekannte Equipage. – „Da ist sie!“ rief er, und drückte Alonzo’s Arm, daß dieser bald laut aufschrie.

In einem glänzenden Wagen, von zwei edlen Rossen gezogen, saß Antonie. Ein freudig überraschtes „Ah!“ entfloh den Lippen des Malers, als er sie sah.

Aus der Fülle der reich herunterwallenden, braunen Locken sah ihr Antlitz heraus, wie die Sonne aus dünnem [35] Gewölke, ihr Auge war lieblich und mild, wie das Lächeln der beglückten Liebe, ihr Mund schien vor Freude zu erröthen, daß ihr liebliches Wort seine reizende Schwelle überschritt, auf ihren Wangen lag ein neugeborner Morgentag, um die rosigen Lippen regten sich süße Gefühle und frohe Gedanken, die in ein entzückendes Lächeln zusammenschmolzen.

Alonzo’s kunst- und naturerfahrner Schönheitssinn staunte unersättlich dieses Ineinanderspiel harmonischer Formen an. Alberto riß ihn an die linke Seite des Wagens hin, und grüßte flammend die schöne Antonie; sie dankte freundlich kalt, und wendete sich zur rechten Seite des Wagens, an dem zu Pferde der junge Graf von Wandern, ihr Bräutigam, sich befand.

Alberto trotzte wieder fort durch die Menge, riß Alonzo mit, und tobte mit ihm hinein in die Seitengänge des englischen Gartens. Hier warf er sich an Alonzo’s Brust. „Du mußt sie malen!“ schrie er, „Du mußt, fordere, wünsche von mir, so viel Du willst, ich bin reich, nur male sie, ich muß wenigstens ihr Bild besitzen!“

Der Graf von Wandern liebte seine Braut mit allem Feuer einer edlen, sieggekrönten Liebe, und wurde eben so von ihr wieder geliebt. Nicht fremd war ihnen die irregeleitete Liebe des reichen Fremden, der in einem gewissen Inkognito in München lebte, allein durch jene Würde, die jeder wirklich tugendhaften weiblichen Seele eigen ist, wußte sie seine unbändigen Bewegungen zurückzuweisen. Es war unmöglich, ein Bild von ihr zu [36] bekommen, und dennoch war dies das einzige, das feurigste Bestreben Alberto’s.

Alonzo war einer der geschicktesten und glücklichsten Porträtmaler der Stadt. Sein Künstlerleben hatte seine Seele etwas wüste gemacht, so wie überhaupt der große Theil der Porträtmaler nicht eindringt in das Heiligthum der Kunst, weil sie sich nur an der Oberfläche weiden, weil sie nicht die Seele der Wesen, sondern blos diese Wesenkleider studiren, und das Oberflächliche wieder mit oberflächlichem Sinne genießen; sie bilden nicht von Innen heraus, sondern von Außen hinein.

Alonzo’s Seele war auch von dem rauhen Herumfluge auf dem äußern Schönheitsformat und Gesichtslineamenten leer und wandelbar geworden. In seinem Herzen schwärmten alle Leidenschaften, wie in einem Bienenstocke, aus und ein, und summten und schwirrten und stachen unaufhörlich. Das Glück hatte ihn nicht begünstigt, und so war ihm die Kunst, die heilige, die gottabstammende, nicht die Geistesbraut und Lebensheilige, sondern die Hauskuh, die ihn mit Milch versehen sollte. Der Antrag Alberto’s war ihm daher willkommen, und er beschloß das Geld zu verdienen, um welchen Preis es auch sei.

In der ernst majestätischen Kirche unserer Lieben Frau, vor dem hochverklärten Bilde der Hochgebenedeiten lag Antonie und betete. Ihr klares Antlitz war erhoben in inniger Frömmigkeit zu der Gnadenmutter. Die beiden Hände lagen wie versöhnte Schwestern in einander [37] geschlungen an ihrer Brust, und das gefühlige Auge, das seelenvolle blickte hinauf zum Himmel, und in seinem Sterne schimmerte das Licht der Andacht, das tröstende, mild leuchtende Licht der Religion, und ihre Lippen regten sich leise, wie sich die Lippen eines unschuldigen, schlafenden Kindleins regen, wenn es von Weihnachtsbäumen und Christbescherungen und beflügelten Englein träumt. Wer die Schönheit nie gesehen hat im Augenblicke des Betens, der weiß es nicht, wie schön die Schönheit ist.

So lag sie da, die schöne Antonie. Verklärung lag um ihren Zügen, und eine jungfräuliche Heiligkeit umfloß die andächtige Gestalt.

Nicht weit davon in einem Betstuhle versteckt, saß Alonzo, um sein frevlerisches Werk an gottgeweihter Stelle zu vollstrecken. Mit irdischem Blicke erspähte er die im Gebete versunkenen Züge, um sie zum unheiligen Zwecke auf das Papier zu bannen. Die Ruhe und die tiefe Andacht der frommen Antonie war seiner Absicht nur allzu günstig, und bald hatte er seinen Raub vollendet. Das wohlgetroffene Bild Antoniens, als Madonna gemalt, lag in wenigen Tagen in Alberto’s Hand, und dafür in Alonzo’s der Schmachsold von hundert Dukaten. Alberto reiste wild bewegt von München ab, und Alonzo wurde immer wüster und wüster, je mehr sein Ruf als Porträtmaler stieg, und sein Einkommen sich vermehrte.

[38] Düsteres Abenddunkel hüllte den Kirchhof in München ein. Die weißen Leichensteine schienen wie die ausgestiegenen Geister der Verstorbenen auf ihren Gräbern zu stehen, ein schauerliches Säuseln bewegte die Blätter der Cypressen, und nirgend war ein Odem des Lebens zu vernehmen. Durch die mittlere Reihe der Leichensteine schritt in einen Mantel gehüllt eine Gestalt zu der falben Rotunde hinauf, zu dem Leichenhause, wo die am folgenden Tage zu Begrabenden auf der Bahre ausgestellt liegen; es war Alonzo.

Er wurde Abends spät noch gerufen, um ein Mädchen, welches plötzlich starb, nach dem Tode zu malen. Der Bote versprach reiche Belohnung, und Alonzo fand sich Abends im Leichenhause ein. Der Leichenaufseher öffnete ihm das Zimmer, in welchem die Todte lag. Zwei Candelaber goßen ein helles Licht durch den schauerlichen Ort. In der Mitte des Zimmers lag die Leiche im weißen Gewande. Die jungfräuliche Kranzkrone zierte sie. Blumen und Guirlanden schmückten die Bahre, und zwölf Kerzen standen auf beiden Seiten. Alonzo warf den Mantel am Eingange ab, näherte sich der Leiche, und ein eisiger Schrecken durchrieselte ihn, als er Antonien erkannte.

Er stand einige Augenblicke wie gelähmt an diesem Orte des Entsetzens; schon wollte er von dannen gehen, ohne nur seine schauerliche Aufgabe zu lösen, allein die Aussicht auf den reichlichen Lohn, und eine falsche Scham, als könnte man ihn der Furcht zeihen, bewogen ihn, zu [39] bleiben, und die Abgeschiedene zu malen. Er faßte sich, stellte die Lichter zurecht, legte das schöne Haupt, das noch lebensfrisch, wie eine eben gepflückte, weiße Rose da lag, zurecht, und begann zu malen. Seine Augen hefteten sich wie magisch auf die blassen Züge, er fühlte seine Hand unsicher, eine Beklommenheit legte und wickelte sich, wie eine Riesenschlange, immer fester um seine Brust. Die Lichter fingen an, ganz in absonderlichem Glanze zu flackern, und hin und her zu spielen. Alonzo suchte seinen Blick starr auf das Antlitz der schönen Leiche zu heften, allein sein Pinsel konnte keinen Zug festhalten, sie schwammen flimmernd in einander. Ein Fieberfrost durchschüttelte ihn, er neigte sich tiefer auf die Todte herab, da begannen die schönen, leblosen Züge leise zu zucken, die Lippen regten sich, die blassen Augenlieder gingen langsam in die Höhe, und die erloschenen Augen drehten sich nach Alonzo. Festgebannt, wie ein Steinbild, blieb Alonzo, sein Auge krampfhaft und unverwandt nach der entsetzlichen Erscheinung ausgedehnt. Da setzte sich die Leiche auf, erhob die geisterbleiche Hand gen Alonzo und hauchte mit dumpfer Stimme folgende Worte ihm zu:

„Fort von hier, Du Frevler! Du hast an gottgeweihter Stelle, vor dem Bildnisse der gebenedeiten Mutter aller Gnaden mit räuberischer Hand meine Züge mir abgestohlen zu verbrecherischem Zwecke, hast meinen Blick, zum Himmel gesendet, entwendet, und zu schnödem Gebrauche benützt. Doppelter Frevler, hebe Dich weg von hier, Deine Kunst ist fortan verfallen den finstern [40] Mächten und ein Zug des Todes in jedem Deiner Gemälde mahne Dich an jene sündige Stunde!“

Hierauf sank die Leiche nieder, die Augen schloßen sich, und regungslos blieben alle Züge. Gejagt von allem Entsetzen der Nacht und des Todes, und im Busen zerrissen von folternden Gedanken, entfloh Alonzo dem grauenerregenden Leichenhause. Die Leichensteine, durch die er floh, schienen zu beiden Seiten mit gespenstischen Blicken ihm nachzuschauen; der Gottesacker schien sich zu verlängern, und mit ihm fortzugehen; gebadet in Angstschweiß und außer sich kam er nach seiner Wohnung zurück.

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„Wann wirst Du doch endlich mein Portät vollends zu Ende bringen?“ frage die sonnenäugige Mina, Alonzo’s Geliebte, denselben, als er eben nachdenkend bei ihr saß, und die schwarzen Lockenschlangen mit seinen Fingern hin und her warf. Er sah hinein in die feuchte Gluth ihres Auges, in dem der innerste Gluthstern der Liebesgewährung hoch aufflammte, sprang rasch auf, und schrie wild: „sogleich!“ Mina sprang froh auf, die Staffelei wurde zurecht gerückt, Mina saß gegenüber, und Alonzo begann das Bild, das, bis auf einige Striche, fast ganz fertig war, zu vollenden. Seine trunkenen Blicke zappelten in dem Netze der halbenthüllten Reize Mina’s, es wogte in ihm die Ebbe und Fluth der Leidenschaft, er malte mit Gluth, seine Seele lebte in seinen Fingerspitzen, das [41] Bild war fertig. Mina lebte auf die Leinwand eingehaucht, es war nicht blos eine Abschrift ihres Gesichtes, es war ihre Doppelgängerin, dieselbe Sonne des Auges, welche die Sinne des Beschauers zum Zunder brennt, dieselbe Gluth der Wangen, vom Purpur des Genusses geröthet, derselbe Karmin der Lippe, die vor dem tiefern Gedanken der vielsagenden Liebe erröthet, dieselbe schöne Blume des Fleisches, dieselbe Harmonie der Glieder, die im stolzen Selbstbewußtsein ihrer Reize sich umschlungen hielten! Alonzo und Mina waren beide entzückt, es war sein erstes Bild, das er seit jener Nacht gemalt hatte, und stand da in des Lebens unübertrefflicher Nachbildung, übergossen von Wahrheit und Natur. Mina schien ihr schönes zweites Ich noch überstrahlen zu wollen. Es wurde ein Festabend für beide Liebende. Die trauliche Lampe wurde angezündet, die dampfende Punschbowle bereitet, und in kosender Liebe saßen Alonzo und Mina auf dem engen, zweisitzigen Sopha, und schlürften die flüssige Gluth des Punsches ein, und der noch heißern Küsse, und gegenüber stand die Staffelei mit dem fertigen Bilde. Immer heißer wurden ihre Küsse, immer stiller ihre Lippen, immer lauter ihre Wünsche. Alonzo war voll Muthwille und ungezügelter Wildheit. Seine Gedanken fingen an, wie die matten Vögel mehr herumzuflattern, er neckte Mina, daß ihr Bild schöner sei, als sie selbst, sie aber herzte und küßte ihn in wilder Lust, und sprach: „wilder, wilder Junge, wenn auch das Bild hübscher ist, als ich, so kann es doch nicht mir Dir anstoßen auf langes Leben, [42] und kann nicht „Du“ zu Dir sagen, nicht „Du“, nicht dieses seelenaustauschende Wort; ich aber kann Dich duzen, Du süßer, süßer Junge Du!“ und dabei duzten ihre Lippen die seinigen, daß sie fast wund wurden. Alonzo aber sprang in trunknem Uebermuthe auf, und rief: „aber Dein Bild soll auch mit mir anstoßen auf ein langes Leben, und soll mich duzen, zum Trotz der närrischen Leiche!“ Er füllte sein Glas und Mina’s, riß sie mit hin zu ihrem Bilde, und rief:

 „Vivat schönes Bild,
 Sollst leben, stoß’an,
 Sollst mich duzen,
 Smolli’s Fiduzit,
 Hörst, du sollst mich
 Duzen, sag’ „Du“!“


„Du!“ tönte es dumpf drohend und schauerlich zurück von dem Bilde, die Züge des Bildes belebten sich, aber es waren Todtenzüge, die Farbe war erloschen, der Blick war gebrochen, die Lippen bleich, und in den starren, offenstehenden Augen lag der entsetzliche Tod. Mina sank todt ihrem Bilde zur Seite nieder.

Am andern Tage war Alonzo nicht mehr zu finden, Minchen sah ihn nicht wieder.

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In Rom, in der Strada del popolo, in einem Palaste saß tiefsinnig und verdrießlich der Prinz Moriz von ***. Ein dunkles Feuer brannte in seinen Augen, [43] die aber eine tiefe Schwermuth verriethen. Die schweren, rothseidenen Vorhänge waren halb herabgehangen über die alterthümlichen Fenster, und überdunkelten das geräumige Zimmer. Das Auge des Prinzen war starr auf ein Bild gerichtet, welches ihm gegenüber über einem schwarzen Marmortische in einem goldenen Ramen hing, aber von einem schwarzen Schleier bedeckt war.

Er war bestimmt, die schöne Prinzessin Alice von *** zu ehlichen; sein Auge hatte sie nie gesehen, sein Vater, der regierende Fürst von ***, hatte es so bestimmt, und Prinz Moriz, der früher lange in der Welt herumgetummelt, und dessen Herz an dem Gorgonenhaupte einer unglücklichen Liebe zu einer kalten Resignation erstarrte, willigte kalt und ruhig ein.

Die Thüre ging auf, und die Fürstin Mutter, eine hohe ernste Frau, voll Milde und Leutseligkeit, trat herein. „Mein Sohn!“ sprach sie mit jenem sanften Klange der Stimme, welche nur der Mutterliebe eigen ist, „mein Sohn, wir haben den berühmten Meister Haldern gewonnen, und bewogen, nach Neapel zu reisen, um dort die Prinzessin Alice für Dich zu malen, ist es Dir so recht?“ –

Prinz Moriz lächelte kalt und sprach: „Wie Du willst, meine theure Mutter!“ Dabei wandte er seinen Blick wieder nach dem schwarzbehängten Gemälde.

„Lieber Sohn!“ fuhr sanft die Fürstin fort, „dann wirst Du Alice’s Bild an jene Stelle hängen, und dieses Bildniß, das Deiner Schwermuth nur stets [44] eine Nahrung gibt, von da entfernen. Willst Du, mein Sohn?“ –

„Ich will, meine theure Mutter!“ antwortete Prinz Moriz resignirt.

Nach einigen Wochen kehrte der Maler Haldern mit dem Bilde der Prinzessin Alice nach Rom zurück.

In demselben verdunkelten Zimmer saß Prinz Moriz, als die Fürstin Mutter mit dem deutschen Künstler hereintrat. Ein Diener trug das Porträt in breiten, prachtvoll vergoldeten Rahmen hinter ihnen herein. „Hier ist der deutsche Künstler, mein Sohn!“ fing die Fürstin an – Haldern trat näher, der Prinz sah auf – „Alonzo!“ rief er heftig, und sprang vom Sopha auf; – Haldern trat erschreckt zurück, und erbleichte. – Es war Alberto, der Prinz Alberto, dem er in München jenes frevelhafte Bild gemalt hatte.

„Ich sehe, ihr kennt Euch,“ sagte die erstaunte Fürstin, ich will ein so seltsam überraschendes Wiedersehen nicht stören.“ Die Fürstin ging, und ließ Alonzo mit seinem Bilde bei ihrem Sohne.

Düster und starr stand dieser vor Alonzo. „Wo ist Antonia?“ fragte er endlich heftig, und faßte krampfhaft Alonzo’s Hand.

„Dort!“ tönte es matt und bebend von Alonzo’s Munde.

„Todt!“ rief entsetzt der Prinz, „o meine gräßliche Ahnung! Wann starb sie?“ –

„Am 15. Juni Abends im vorigen Jahre.“

[45] „Ewige Gerechtigkeit!“ stieß der Prinz entsetzt heraus, stürzte auf das schwarz verhüllte Gemälde hin, und riß den Flor hinweg. Alonzo sah hin, und das Blut gerann in seinen Adern. Es war Antoniens Bild, welches er in der Frauenkirche zu München von ihr malte, aber es waren jene Züge des Todes, wie er es in der schauervollen Nacht im Leichenhause malen sollte. Der Prinz und Alonzo faßten sich zitternd die Hände.

„Am 15. Juni Abends war es,“ begann endlich der Prinz, „als ich vorigen Jahres wie gewöhnlich hier saß, und mein Auge auf jenes Bild voll rosigem Leben und heißer Jugendgluth, heftete; da schienen die Züge sich zu beleben, und in einander zu schwimmen, das Auge fiel zu, und hob sich mit erlöschendem, aber vorwerfendem Blicke nach mir, die Farbe des Todes überzog das Bild, es war Antoniens Leichenantlitz. Ich stürzte besinnungslos nieder. Seitdem habe ich das Bild, das in diesem Zustande blieb, verhüllt. Todt, also todt!“ – Er warf sich auf das Sopha, und kühlte die heiße Stirne in dem seidenen Pfühl.

Alonzo war zerknirscht, er hing den Flor endlich wieder um das Bild, sammelte sich, trat auf den Prinzen zu, faßte ihn bei der Hand, und sagte: „Beruhigen Sie sich, mein Prinz; besehen Sie doch das Bild Ihrer fürstlichen Braut, da wird Ihnen des Lebens süßeste Fülle, und der Anmuth unwiderstehlichster Zauber entgegenlächeln, und Tröstung in Ihr Herz senden.“

Der Prinz stand auf, und sagte bitter lächelnd: „Nun wohl, Sie großer Meister, lassen Sie sehen!“

[46] Alonzo stellte sein mitgebrachtes Bild auf einen Sessel, zog das Tuch, das darüber hing, herab. „Da!“ sagte er, und das Wort erstarb ihm auf der Lippe. Es war die Prinzessin Alice, aber der Zug des Todes lag auf dem blassen Antlitz; der Leichenmund bleich, und die offenen Augen erstorben.

Der Prinz brach in ein schallendes, wahnsinniges Gelächter aus; „das ist Dein Segen, Antonia!“ rief mit dumpfen Ton Alonzo, und stürzte aus dem Zimmer.

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Zwei Jahre später sehen wir einen ernsten, krummgebeugten Mann zu später Nachtzeit, auf den Knieen liegend, vor dem hochgebenedeiten Bilde der Gnadenmutter in der Kirche zu unserer Lieben Frau in München. Heiße Thränen rannen über seine gramgefurchten Wangen, und benetzten das kalte Gestein des Bodens; sein Blick, in dem Reue und Andacht ihre Schwesterflammen angesteckt, sah gräulich und fromm hinauf zu der Gnadenspenderin; sein Mund bewegte sich nicht, aber es lag der Ausdruck des innigsten, wärmsten Gebetes auf dem ausdrucksvollen Antlitz.

Still war es rings herum, kein Laut war rege in der hohen gewölbten Halle, nur seine Seufzer stiegen bis an die Decke empor, und erweckten ein mitleidig grauenerregendes Echo. Die heilige Ampel warf ein mattes Licht auf die gottgeweihten Gegenstände, und Alonzo bleib unbeweglich mit gefoltertem Herzen vor der Madonna liegen. [47] Da schien es, als rausche es durch die Kirche, wie ein heiliges Rauschen, ein milder Schimmer umzog das engelschöne Antlitz der Mutter Gottes, in dem sich Mildniß und göttliche Reinheit offenbarten, ein himmlischer Strahl der Gnade floß, wie Trostesbalsam, aus dem heiligen Auge der Gebenedeiten nieder, und von dem süßen, verklärten Munde zog es, leise thauend, wie Muttergruß und Beschwichtigung zum schmerzenskranken Kinde hernieder zu Alonzo’s Ohren: „Du hast bereuet und gebüßt, mein Sohn, der Schooß der ewigen Gnade ist dem rückkehrenden Sohne doppelt gnadenreich; gehe hin, male das Bild der Mutter, der Erlöserin, mit dem zarten Jesuknäblein auf dem Schooße für das arme Kirchlein zu ***, und es sei von Dir genommen der Bann jener unseligen Stunde, und Deinem Gebilde sei gegeben der Segen der Wahrheit, denn nur durch Frömmigkeit und durch Reinheit der Seele kann sich Religion und ihre Tochter, die Kunst, offenbaren dem menschlichen Auge des irdischen Künstlers!“