ADB:Deutinger, Martin

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Artikel „Deutinger, Martin“ von Carl von Prantl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 90–92, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Deutinger,_Martin&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 10:42 Uhr UTC)
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Deutinger: Martin D., geb. in der Schachtenmühle bei Langenpreising in Oberbaiern am 24. März 1815, † in Pfäffers am 9. Sept. 1864, fand an seinem gleichnamigen Oheime (s. d. Art.) von frühester Jugend an einen Förderer seiner Erziehung und Bildung, besuchte die vorbereitenden Studienanstalten zu München und Freising, dann (1832) das Lyceum zu Dillingen und hierauf (1833) die Münchener Universität, wo er sich insbesondere durch Schelling, Baader und Görres angeregt fühlte. Nachdem er das Studium der Theologie in Freising zum Abschlusse gebracht und (1837) die Priesterweihe empfangen hatte, wirkte er zunächst bis 1840 als Coadjutor in Rosenheim und hierauf als Krankencurat und Militärprediger in München. Gegen Ende des J. 1841 wurde er zum Lehrer der Philosophie am Lyceum zu Freising ernannt, und, nachdem er ein paar Monate hindurch der Münchener Universität als außerordentlicher Professor angehört hatte, im März 1847 an das Lyceum zu Dillingen versetzt. Als er 1852 in den erbetenen Ruhestand trat, siedelte er nach München um, [91] wo er später das Amt eines Universitätspredigers übernahm. Von einem Gehirnleiden ergriffen (1864), suchte er Hülfe in St. Moritz, eilte aber bald von dort nach Pfäffers, wo er starb. Sowie er schon in seiner Knabenzeit eine frische Begabung des Geistes und des Gemüthes zeigte und auch in späteren Jahren als Katechet oder Prediger und als öffentlicher Lehrer sein bedeutendes rednerisches Talent mit Erfolg verwerthete, so entwickelte er auch mit sprudelnder Lebendigkeit eine reiche schriftstellerische Thätigkeit. Sehen wir hierbei von jenem, was in verschiedenen Zeitschriften zerstreut vorliegt, sowie von einzelnen gedruckten Predigten ab, so folgte auf einige kleinere Aufsätze (z. B. „Ueber das Verh. d. Hermes’schen Systems z. christl. Wissensch.“) bald der Beginn seines Hauptwerkes, welches unter dem Titel „Grundlinien einer positiven Philosophie“ in mehreren Abtheilungen erschien, nämlich: „Propädeutik“ (1843), „Seelenlehre“ (1843), „Denklehre“ (1844), „Das Gebiet der Kunst im Allgemeinen“ (1845), „Das Gebiet der dichtenden Kunst“ (1846); woran sich anschließt „Beispielsammlung aus allen wesentlichen Entwicklungsstufen der Dichtkunst“ (1846); hierauf „Moralphilosophie“ (1849) und „Geschichte der griechischen Philosophie“ (1852 f.). Daneben veröffentlichte er (abgesehen von Grundrissen der Logik und der Moralphilosophie, welche für seine Zuhörer bestimmt waren, 1847 f.) als Frucht mehrfacher in kunstgeschichtlicher Absicht unternommener Ferienreisen „Bilder des Geistes in Kunst und Natur“ (1846 u. 1850, eine Fortsetzung gab aus Deutinger’s Nachlaß Kastner heraus, 1866). Im J. 1850 gründete er eine Zeitschrift für religiösen Fortschritt „Siloah“, welche jedoch bald wieder einging; auch ein von ihm gestifteter Verein für christliche Wissenschaft, als dessen Ergebniß unter seiner Leitung zwei Bände „Der Geist der christlichen Wissenschaft“ (1850 f.) erschienen, löste sich aus Mangel an dauernder Theilnahme wieder auf. Nach einer kleinen Schrift „Wallfahrt nach Oberammergau“ (1851) und einem Programm „Die organische Entwicklung der Philosophie in der Geschichte“ (1851) folgten noch: „Das Princip der neueren Philosophie und der christlichen Wissenschaft“ (1857), „Ueber das Verhältniß der Poesie zur Religion“ (1861), „Beitrag zur Lösung der Streitfrage über das Verhältniß der Philosophie und Theologie“ (1861), „Das Reich Gottes nach dem Apostel Johannes“ (2 Bde., 1862 f., aus dem Nachlasse ergänzt durch Kastner, 1868) und „Renan und die Wunder“ (1864). Nach dem Tode Deutinger’s veröffentlichte Kastner außer den erwähnten Fortsetzungen auch noch die Schrift „Der gegenwärtige Zustand der deutschen Philosophie“ (1866). D. knüpfte in seinem philosophischen Standpunkte an Baader an und suchte auf ähnliche Weise, wie dieser, in Gott und dessen Offenbarung den letzten positiven Grund aller Erkenntniß zu erfassen, aber sowie D. bezüglich der Durchführung des so begründeten Erkennens in höherem Grade die geistige Selbstthat des Menschen betonte, so versuchte er auch eine allseitige Systematisirung der Baader’schen Grundgedanken. Auf solchem Plane beruht Deutinger’s „positive Philosophie“, welche zur Versöhnung zwischen Glauben und Wissen führen soll und daher auch Gegenstände der christlichen Dogmatik (Dreieinigkeit, Menschwerdung Gottes, Wunder, Unsterblichkeit und dgl.) speculativ zu construiren unternimmt. So sehr aber bei solchem Standpunkte eine Abneigung gegen jedweden Pantheismus von selbst geboten ist, so will D. hinwiederum auch den üblichen Dualismus vermeiden, d. h. er sucht den letzteren nicht durch Identitätsanschauungen aufzuheben, sondern durch irgend ein vermittelndes Drittes zu versöhnen, und gelangt so zu einer überall durchgeführten Verwerthung einer Trilogie, in welcher Einheit und Gegensatz dreieinig sich verbinden (z. B.: Gott, Natur, Mensch; Geist, Leib, Seele; Sein, Leben, Erkennen; Idee, Empfindung, Begriff; Wille, Sinnlichkeit, Denken; Vernunft, Natur, Sitte; Erhaben, Angenehm, Schön u. s. f.). Die Hauptgliederung des [92] Systems beruht darauf, daß der Wille in drei Ideen als Strahlenbrechungen der Einen Idee sich bethätigt, indem der Geist 1) im Denken ein Aeußeres innerlich setzt und dabei den Wahrnehmungsstoff auf Einheit zurückführend zur Wahrheit vordringt, 2) in der Kunst nach innerem Bilde ein Aeußeres gestaltet und, soweit der höchste Inhalt die entsprechendste Form erlangt, Schönheit erreicht, und 3) im Handeln das Gegebene zu einem über der Natur liegenden Zwecke benützt und in dieser Ineinsbildung das Gute verwirklicht. In der Einzelndurchführung folgt D., verführt durch seine rednerische Begabung, häufig einem Fluge der Gedanken und Worte, welcher sich durch den thatsächlich gegebenen Stoff nicht beirren läßt und daher einem kritischen Maßstabe nicht unterworfen werden kann, – eine Eigenthümlichkeit, welche sich am meisten in jenen Schriften fühlbar macht, welche die Geschichte der Philosophie betreffen. – In ausführlichster Breite handelt über ihn: Lor. Kastner, Mart. Deutinger’s Leben und Schriften, 1. Bd. München 1875. Vgl. auch die anonyme (von Oischinger verfaßte) Schrift: Würdigung der positiven Philosophie Deutinger’s, 1853.