Die Presse

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Autor: Karl Bücher
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Titel: Die Presse
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aus: Handbuch der Politik Erster Band: Die Grundlagen der Politik, Drittes Hauptstück: Herrschaft und Verwaltung, Abschnitt 19, S. 264−270
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[264]
19. Abschnitt.


Die Presse.
Von
Geh. Hofrat Dr. Karl Bücher,
o. Professor der Staatswissenschaften an der Universität Leipzig.


Unter Presse im Sinne dieser Darstellung wird die Gesamtheit der periodisch erscheinenden Druckschriften verstanden, welche die Veröffentlichung neuer Nachrichten zum Zwecke haben. Mit der Veröffentlichung verbindet sich in der Regel eine Besprechung der neuesten Geschehnisse, teils zum Zwecke der Aufklärung der Leser, teils zu ihrer Willensbeeinflussung. Insofern jene Nachrichten sich vorzugsweise auf das Leben des Staates und der Gesellschaft beziehen, erlangt die Presse eine hohe politische Bedeutung. Sie wird zu einem Leitorgan, durch das die geistigen Strömungen zwischen Volk und Regierung vermittelt werden, durch das aber auch die Parteien der Volksvertretung mit den Massen der Bevölkerung in Verkehr treten, Anregungen unter ihnen verbreiten, wie sie anderseits solche von ihnen empfangen.

Aber mit dieser Charakteristik ist das Wesen der modernen Zeitungspresse keineswegs erschöpft. Gehört sie doch zu jenen sozialen Erscheinungen, welche, anfänglich für einen beschränkten Zweck geschaffen, im Lauf einer langen geschichtlichen Entwicklung immer neue Aufgaben übernommen haben, so dass ihr ursprüngliches Wesen im einzelnen Falle stark zurücktreten oder bis zur Unkenntlichkeit verwischt sein kann. Zwar ihre ältesten Erscheinungsformen, die Staatszeitungen der Römer und der Chinesen, tragen bereits eine Doppelnatur. Sie sind ebensowohl bestimmt, die Völker grosser Reiche mit den Entschliessungen und Befehlen der Zentralgewalt bekannt zu machen, als auch sie über wichtige Vorgänge zu unterrichten, die nicht immer politischer Natur zu sein brauchten. Ihre Wirksamkeit hat sich wohl immer auf die herrschende Schicht der [265] Bevölkerung beschränkt. Dieser haben sie ebensowohl den Willen der Zentralgewalt kund gemacht, als sie ihr die Kenntnis von Vorgängen vorzugsweise politischer Natur vermittelt haben. Ihr Erscheinen beruht auf Anordnung der Staatsgewalt; sie sind Regierungsmittel.

Im Gegensatze dazu ist die Zeitung der modernen Völker ein wesentlich soziales Erzeugnis. Entstanden aus den Gewohnheiten des kaufmännischen Verkehrs in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters hat sie in der Form des Briefes oder der Briefbeilage zunächst dem Neuigkeitsbedürfnisse der politisch leitenden Kreise gedient und bereits im 15. Jahrhundert an den Mittelpunkten des Verkehrs zur Entstehung handwerksmässiger Avisenschreiber geführt, welche als Korrespondenten einen bald engeren, bald weiteren Kreis von Kunden um Jahreslohn bedienten. Mit der Entstehung der Post als einer dem Publikum zugänglichen Nachrichtenbeförderungsanstalt hat diese die Organisation eines periodischen Nachrichtendienstes übernommen, ist aber mit ihren Monopolansprüchen auf diesen nicht durchgedrungen. Dennoch erhält sich die geschriebene Zeitung bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts.

Neben ihr aber taucht die gedruckte Zeitung, zunächst in der Form von Einzelblättern mit Nachrichten allgemeineren Interesses schon seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf. Sie verbreitet sich im 16. Jahrhundert über alle Kulturländer Europas und dient neben der Nachrichtenvermittlung auch der politischen, kirchlichen und moralischen Propaganda, meist in ungebundener, aber auch oft in gebundener Rede, so dass sie schon als Trägerin einer öffentlichen Meinung gelten kann. Neben ihr entstehen gegen Ende des 16. Jahrhunderts hauptsächlich aus dem Nachrichtenmaterial der geschriebenen Zeitungen zusammengestellte Halbjahrsübersichten (Messrelationen) und seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts gedruckte Wochenzeitungen, die in die Rolle der geschriebenen Zeitungen hineinzuwachsen streben, mit denen sie die Anordnung des Stoffs und die Wege des Nachrichtenbezuges teilen. Sie sind in Deutschland schon 1609 nachzuweisen, in England erst 1622, ihm folgt Holland 1626, Frankreich 1631, Italien 1636, Portugal 1641, Schweden 1644 und Spanien 1661.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts blieb diese periodische Presse fast reines Nachrichtenveröffentlichungsinstitut, das über das eigene Land am wenigsten unterrichtete und nur etwa über auswärtige Angelegenheiten ein Urteil sich erlaubte. Nur die englische Presse zur Zeit Oliver Cromwells und die für das Ausland in französischer Sprache gedruckten holländischen Zeitungen machten eine Ausnahme. Fast überall wurden die Zeitungen durch ihre Abhängigkeit von den Regierungen, durch Zensur und Privilegientaxen wie auch durch eigentliche Steuern niedergehalten. Dass einzelne von ihnen bereits im 17. Jahrhundert mehrmals wöchentlich und bald täglich zu erscheinen begannen, änderte an diesen Zuständen wenig.

Dagegen vollzog sich in der zu gleicher Zeit entstandenen Benutzung der Presse zur Veröffentlichung von Privatanzeigen eine folgenreiche Neuerung. Sie ging zunächst von eigenen Nachrichtenämtern oder Adresskomptoiren aus, welche sich die Vermittlung von Angebot und Nachfrage gegen Entgelt zur Aufgabe gemacht hatten und für ihre Zwecke eigene Anzeigeblätter (Intelligenzblätter) schufen. In Preussen wurde 1727 dafür ein Staatsmonopol errichtet. Allmählich gaben sich die Intelligenzblätter einen weiteren Inhalt, indem sie einen Teil des Nachrichtendienstes der politischen Zeitungen mit übernahmen, und umgekehrt eigneten sich die letzteren – von England ausgehend – seit der Mitte des 17. Jahrhunderts das private Anzeigewesen an. So entstand in langsamer Entwicklung jene Verquickung öffentlichen und privaten Interesses, welche die moderne Zeitung charakterisiert.

Fast gleichzeitig betrat die periodische Presse den Boden der Diskussion öffentlicher Angelegenheiten auch des eignen Staates, den sie seitdem nicht mehr verlassen hat. Sie stiess dabei auf den heftigen Widerstand der Regierenden; aber in jahrhundertlangem Kampfe hat sich der Gedanke der Pressfreiheit gegenüber den Unterdrückungsmitteln der polizeistaatlichen Bureaukratie durchzusetzen vermocht, und er ist in den konstitutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts fast überall in irgendeiner Weise sicher gestellt worden. Unter seinem Schutze hat die Zeitungspresse in den letzten Menschenaltern jene gewaltige Umwälzung vollzogen, deren Ergebnisse uns in ihrer heutigen Ausgestaltung vor Augen treten.

[266] In erster Linie ist eine bedeutende Erweiterung des Stoffbereichs der Zeitungen festzustellen, der neben den politischen Angelegenheiten alle Zweige des sozialen Lebens umfasst: Literatur und Kunst, Wissenschaft und Technik, Theater und Musik, Gewerbe und Handel, Land- und Hauswirtschaft, Sport, Verbrechen, Unglücksfälle und vieles andere. Diese Ausweitung des Interessenkreises kennzeichnet sich äusserlich durch die Entstehung immer neuer Abteilungen, innerlich durch die Aufnahme von Zwecken der Belehrung, Unterhaltung, privaten Interessenförderung neben denjenigen der politischen Information und Willensbeeinflussung. Die Zeitung wird zum Generallieferanten geistiger Nahrung, und breite Schichten der Gesellschaft haben in ihr ihren einzigen Zusammenhang mit dem geistigen Leben der Gesamtheit.

Die Einwirkung der Zeitung auf ihren Leserkreis wird unter diesen Umständen eine andere. Vermittelte sie früher nur die Bekanntschaft mit den „Welthändeln“, über welche sie Nachrichten brachte, so wird sie nun zum Sprachrohr der öffentlichen Meinung und zum Kampfplatz der politischen Parteien. Die Tagesschriftstellerei wird zum Beruf; eine „Redaktion“ mit bestimmtem „Programm“ tritt zwischen Nachrichtensammler und Nachrichtenempfänger; der letztere erhält seinen politischen Lesestoff bereits in einem zu Parteizwecken präparierten Zustande, und wird sich auch dieser leidigen Situation kaum entziehen, wenn er zu einer der immer mehr sich ausbreitenden „parteilosen“ Zeitungen greift.

Neben dem politischen gewinnt der belehrende und unterhaltende Teil der Zeitungen fortgesetzt an Umfang. Nicht bloss in dem um die Wende des 19. Jahrhunderts aufgekommenen „Feuilleton“, sondern auch unter den Rubriken „Literatur“, „Sport“, „Rechtspflege“, „Vermischtes“, „Lokales“ wird dem Leserkreis Tag für Tag eine ungeheure Fülle unpolitischen Lesestoffs geboten, der sein Interesse verflachen, seine Aufmerksamkeit stumpf werden lässt, zugleich aber auch die Gefahr von Beeinflussungen heraufbeschwört, denen der einzelne sich um so schwerer entziehen kann, als ein Teil dieses Stoffes sozusagen Gemeingut aller Zeitungen ist.

Dies gilt noch in höherem Masse vom Handelsteil, der den Bedürfnissen des geschäftlichen Lebens und der privaten Vermögensanlage zu dienen bestimmt ist und mit der Ausdehnung des Weltverkehrs und der Ausbreitung des Kapitalismus stetig an Bedeutung gewinnt. Ein Ausbleiben der Handels- und Börsennachrichten, der Marktberichte und Kurszettel, der Preisnotizen und Bankausweise würde unser ganzes ökonomisches Leben in Verwirrung bringen und es den schwersten Erschütterungen aussetzen. Darum haben sich gerade für den Handelsteil die Mittel der modernen Nachrichtenkommunikation aufs feinste durchgebildet; zugleich bildet er dasjenige Gebiet, in welchem die grossen Privatinteressen mit mehr oder minder Glück ihren korrumpierenden Einfluss geltend zu machen versuchen.

Dennoch hat er nie jene Bedenken erregt, welche sich an die immer enger gewordene Verbindung des Annoncenwesens mit der politischen Zeitung anknüpfen. Man hat es als einen unerträglichen Widerspruch empfunden, dass an derselben Stelle, wo die höchsten Interessen der Menschheit ihre Vertretung finden, jedes, auch das bedenklichste, Privatinteresse in Angebot und Nachfrage zu Worte gelangen kann, wenn es nur zahlungsfähig ist. Und es wird sich kaum leugnen lassen, dass hier schwere Gefahren den arglosen Leser bedrohen, zumal wenn das Inserenteninteresse auf den allgemeinen Teil der Zeitung übergreift oder in der absichtlich verhüllten Form der Reklame seinen Ausdruck sucht. Aber man wird schwer eine Einrichtung finden können, die der modernen Gesellschaft so viel Zeit und Kraft erspart, wie das Annoncenwesen der Zeitungen, dessen finanzieller Ertrag überdies den Zeitungsunternehmer in den Stand setzt, den Preis seines Blattes weit tiefer anzusetzen, als nach der Herstellungskosten zu erwarten wäre.

So ist die moderne Zeitung zu einer ausserordentlich komplizierten Erscheinung geworden und es ist nicht leicht, sich ihre Wirkungen in einem Gesamtbilde zu vergegenwärtigen. Wirtschaftlich tritt sie in der Form der Unternehmung auf, die sich nach und nach unser gesamtes soziales Leben unterwirft. Aber diese Unternehmung ist aufs innigste verflochten mit der grossartigen Organisation des Verkehrs in Eisenbahnen, Post, Telegraphie und Telephonie, die sie zum Teil ihren Zwecken besonders anpassen musste, und sie hat sich für die Sammlung des zur Veröffentlichung bestimmten Stoffes wieder eine Reihe eigner Verkehrsorganisationen geschaffen, die mit ihren weiten Fangarmen die ganze Welt umspannen.

[267] Alle diese Veranstaltungen beherrscht der Grundsatz der Aktualität. Jede Zeitung sucht es in der Raschheit der Berichterstattung den andern zuvorzutun. Zwar hat das zwei- bis dreimalige tägliche Erscheinen, das im Deutschen Reiche und in Österreich für die grösseren Blätter fast zur Regel geworden ist, in andern Ländern kaum Nachahmung gefunden; aber auch in diesen findet die Forderung grösster Schnelligkeit der Herstellung in der Entstehung besonderer Morgen- und Abendblätter, in der Verbreitung der Setzmaschine und der Rotationsmaschine für den Druck ihren Ausdruck, vor allem aber in der Organisation der Stoffgewinnung.

Diese letztere hat schon früh damit begonnen, das Gesetz der Massenproduktion auf die Nachrichten-Sammlung und -Verarbeitung anzuwenden. Es entstanden Korrespondenz-Bureaux, die meist von den Landeshauptstädten aus es übernahmen, die Zeitungen mit Artikeln zu versorgen, die sie ihnen auf einseitig bedruckten oder autographierten Blättern zu beliebiger Benutzung regelmässig lieferten. Diese Korrespondenzen haben sich im Laufe der Zeit ausserordentlich vermehrt; sie haben sich nach Parteirichtungen oder Stoffgebieten spezialisiert, und da sie ohne Quellenangabe von den Redaktionen benutzt werden können, so ist für letztere die eigene geistige Tätigkeit auf ein Mindestmass herabgesetzt. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bilden die „kopflosen Zeitungen“, welche von der Hauptstadt aus den ganzen für ein kleines Blatt notwendigen Stoff in Klischees regelmässig druckfertig versenden, so dass die Herausgeber in der Provinz nur noch die Lokalnachrichten und den Annoncenteil hinzuzufügen haben.

Aus den Korrespondenz-Bureaux sind die Depeschen-Agenturen hervorgewachsen, Anstalten, welche zur Nachrichten-Sammlung und -Übermittlung sich des Telegraphen und des Telephons bedienen und dafür ein weitgreifendes Netz von Korrespondenten und Filialbureaux über die Länder ausgespannt haben. Fast jedes grössere Staatswesen besitzt mindestens eine dieser Agenturen: England das Reutersche Bureau, Frankreich die Agence Havas, das Deutsche Reich das Wolff’sche Bureau, Österreich das offizielle k. k. Telegraphen-Korrespondenzbureau usw. In der Regel sind diese Anstalten Aktiengesellschaften, unterliegen also den Erwerbsinteressen ihrer Eigentümer. Auf der anderen Seite sind sie von den Regierungen der betreffenden Staaten abhängig, unterliegen also in Ausmass und Zuschnitt der Nachrichten, welche sie verbreiten, der offiziösen Zensur. Nur die nordamerikanische Zeitungspresse hat sich von dieser Beeinflussung unabhängig zu erhalten vermocht, indem sie für ihre telegraphische Nachrichtenversorgung ein auf genossenschaftlicher Grundlage ruhendes Institut, die Associated Press begründete. Eine ähnliche Einrichtung ist die schweizerische Depeschenagentur; aber sie ist von den Agenturen der Nachbarstaaten, namentlich der Agence Havas abhängig. Neben den allgemeinen Telegraphen-Agenturen gibt es in verschiedenen Staaten noch Spezialagenturen für besondere Arten von Nachrichten.

Fast alle diese Agenturen stehen mit einander im gegenseitigen Nachrichten-Austausche, und es wird dadurch den Zeitungen möglich, von jeder derselben die neuesten Nachrichten aus der ganzen Welt zu beziehen. Der Stoff, den sie liefern, ist ein unendlich reicher; aber er ist je nach der Quelle verschieden präpariert und bedürfte eigentlich, bevor er dem Publikum vorgesetzt wird, einer sorgfältigen Quellenkritik. Nicht jede Redaktion ist dazu imstande, und so kommt es, dass gerade die einflussreichsten dieser Anstalten in weiten Ländergebieten oft das öffentliche Urteil über Zeitereignisse in einer dem Völkerfrieden abträglichen Weise bestimmen. Sie fördern in der Politik die Interessen der Staaten, welche sie kontrollieren und deren Auffassungen sie – nicht selten zum Schaden anderer Staaten – verbreiten. Nur auf dem Gebiete der Handelsnachrichten pflegen sie einwandfrei zu arbeiten und der Geschäftswelt unschätzbare Dienste zu leisten, die ihnen meistens dadurch vergolten werden, dass neben den Zeitungen auch grosse Privatinteressenten auf ihre Nachrichten abonniert sind.

Allem Anscheine nach ist der Einfluss der Depeschen-Agenturen auf das Zeitungswesen noch immer im Wachsen begriffen, während die Korrespondenzen sich eher im Rückgang befinden. Ja man kann vielleicht sagen, dass die Agenturen seit der Einschaltung des Telephons in ihren Dienst und der Verbilligung des Telegramms durch gemietete Drähte bewusst darauf ausgehen, die lithographierten Korrespondenzen zu ersetzen. Immer grösser wird die Masse des Unwichtigen, das sie bringen. Das Publikum lässt sich geduldig diesen Mischmasch von wichtigen und unwichtigen Nachrichten gefallen, welche die Presse in der grob tatsächlichen Form weitergibt, in der sie eingelaufen [268] sind; ja es gewöhnt sich daran, den gleichgiltigsten Dingen deshalb Bedeutung beizulegen, weil sie unter den Telegrammen stehen.

Nur die grossen Zeitungen wissen sich und ihre Leser dieser alles verschlingenden Flut durch Haltung eines Stabes guter Mitarbeiter und Korrespondenten zu entziehen. Sie halten auf Originalmitteilungen und suchen es in der Raschheit, Vielseitigkeit und Zuverlässigkeit der Berichterstattung den Agenturen zuvorzutun und wo nötig, sie zu kontrollieren und zu berichtigen. Vor allem aber liegt ihnen ob, an dem täglich fliessenden Nachrichtenstoff die rein geistige Arbeit zu leisten, welche nötig ist, ihn den Lesern lebendig und verständlich zu machen. Hierzu bedürfen sie der Mitwirkung zahlreicher sachkundiger Kräfte, die zum Teil der Redaktion eingegliedert werden, zum Teil in freier Mitarbeit sich betätigen.

Der Verfassungsstaat der Gegenwart bedarf der Erörterung der öffentlichen Angelegenheiten in der Presse als einer notwendigen Ergänzung der von Regierung und Volksvertretung geleisteten Arbeit. Durch sie kann erst die Mitwirkung des ganzen Volkes, welche dem parlamentarischen System als Leitmotiv zugrunde liegt, ohne je durch dieses allein verwirklicht werden zu können, zur Wahrheit werden. Die Presse verbreitet Aufklärung über die obschwebenden Fragen der Gesetzgebung in weitesten Kreisen; sie lässt jede Art von Sachkunde zu Worte kommen und ermöglicht dadurch die Berücksichtigung von Gesichtspunkten und Interessen, welche das parlamentarische System für sich allein nie zur Geltung gebracht haben würde.

Man hat die Stellung, welche die Zeitungspresse der Regierung gegenüber einnimmt, mit dem römischen Volkstribunat verglichen. Das ist nur in sehr beschränktem Masse richtig. Die Rolle der Volkstribunen war eine einseitig negative; sie schützten den Plebejer gegen den Missbrauch patrizischer Amtsgewalt. Die Rolle der modernen Zeitungen aber ist eine zweiseitige. Sie nehmen ebensowohl die politischen Strömungen, welche von der Regierung ausgehen, auf, um sie auf die Masse überzuleiten, wie sie die in den Volksmassen entstehenden Gegenströmungen zu den führenden Kreisen zurückleiten. Aber sie haben keinerlei Interzessionsrecht ausser dem rein geistigen, wie es durch die öffentliche Kritik von Regierungsmassnahmen gegeben ist.

Und weit über das Gebiet des staatlichen Lebens geht diese geistig vermittelnde Tätigkeit der Presse hinaus. Auch in Kunst und Wissenschaft und in jeder Art sozialer Betätigung nimmt sie die von hervorragenden Geistern ausgehenden Anstösse auf, um sie auf das ganze Volk überzuleiten, wie sie umgekehrt der massenpsychologischen Reaktion auf solche Einwirkungen zum Ausdruck verhilft. Sofern sie den von der Masse ausgehenden Ideenströmungen Ausdruck und Richtung gibt oder auf ihrem Grunde bestimmte Forderungen ausgestaltet, wird sie zur Trägerin der öffentlichen Meinung. Sie kann diese Meinung nicht schaffen; aber sie kann sie sondieren und bearbeiten, ihr Ziel und Weg weisen; aber auch sie irreführen und korrumpieren. Das letztere insbesondere infolge ihrer Tag für Tag sich wiederholenden geistigen Einwirkung, die für jedes neue Vorkommnis ein fertiges Urteil bietet, ehe der Leser noch Zeit gefunden hat, seine Bedeutung und Tragweite zu überdenken. Die Zeitungsmeinung wirkt auf die Masse suggestiv wie alles Gedruckte, lähmt ihre Urteilskraft und versetzt sie in einen Zustand, in dem sie willenlos sich führen lässt.

Allerdings ist die Presse zugleich Vermittlerin eines unermesslichen Kulturinhaltes, mit dem sie die Kenntnisse ihrer Leser bereichert und sie aus der Enge ihres individuellen Daseins zu überschauender Höhe emporhebt. Sie bringt die Völker einander näher, lässt sie gegenseitig teilnehmen an ihren Geschicken, mildert die zwischen ihnen bestehenden Gegensätze. Aber sie kann unter Umständen auch genau das Gegenteil bewirken, wenn sie den Nationalhass schürt und bestehende Spannungen erweitert. Dagegen wirkt sie ausserhalb der Kreise der Politik in eminentem Masse kulturfördernd und kulturerhaltend. Keine neue wissenschaftliche Wahrheit, keine Erfindung oder Entdeckung kann mehr verloren gehen, wenn sie einmal den Weg in die Presse gefunden hat. Allerdings können die Kenntnisse, welche die Zeitung bietet, nur oberflächlich sein; sie müssen dem Verständnis der Masse angepasst werden; sie geben in der Regel nur Anregungen. Aber schon darin liegt ein grosser Segen, dass die Presse jeden nach seinem Vermögen an den Fortschritten der geistigen Kultur teilnehmen lässt.

Ferner ist die volkswirtschaftliche Rolle der Presse nicht zu unterschätzen. Nicht nur, dass sie in ihrem reich entwickelten Annoncenwesen Angebot und Nachfrage vermittelt und im täglichen [269] Kleinverkehr fortwährend auf die Korrektur der Güterverteilung in den Einzelwirtschaften wie auf die Regelung des Arbeitsmarktes hinwirkt, sie erspart auch in Haushalt und Unternehmung den Einzelwirtschaften unendliche Arbeit, vermittelt die Bekanntschaft mit neu entstandenen Güterarten und setzt ihre Produzenten in den Stand, latente Bedürfnisse zu wecken, um durch ihre Zusammenfassung die Anwendung des Gesetzes der billigen Massenproduktion zu ermöglichen. Ohne sie wäre unsere arbeitsteilige Volkswirtschaft und jene allseitige Funktionsteilung unmöglich, die unser Leben so ausserordentlich bereichert hat, indem sie uns für unsere Bedürfnisbefriedigung die Kräfte zahlloser anderer dienstbar macht.

Noch tiefer und unmittelbarer greift der Handelsteil in das praktische Leben ein. Ohne seine täglichen Mitteilungen über Ernteausfall und Handelsvorräte, über Auktionen, Warenpreise, Wechsel- und Wertpapierkurse, über die Schwankungen des Angebots und der Nachfrage würde der Betrieb von Grosshandel und Fabrikation der nötigen Sicherheit entbehren und die Güterversorgung der Völker der Stetigkeit und Nachhaltigkeit verlustig gehen. Vor allem würde die richtige zeitliche Verteilung des Warenzuflusses und der Warenausfuhr unmöglich werden. Die Ausbreitung des kapitalistischen Systems, wie sie in den Riesenunternehmungen des In- und Auslandes zutage tritt, bewirkt eine Verzweigung der materiellen Interessen, nötigt zu einer fortgesetzten gegenseitigen Beobachtung der Völker, wie sie nur der hochentwickelte wirtschaftliche Spezialdienst der grossen Depeschen-Agenturen ermöglicht.

Schliesslich darf nicht verkannt werden, dass die Zeitungspresse die geistigen Kräfte einer Nation entfesselt. Man mag über den Journalistenstand, der sich bekanntermassen aus den verschiedenartigsten Elementen zusammensetzt, noch so bescheiden urteilen: das lässt sich nicht verkennen, dass die Presse eines ganzen Landes täglich eine Fülle von Kenntnissen und Urteilskraft, von Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart, von Witz, Humor, Takt und Erfahrung beansprucht, wie sie nur eine auf die freieste Grundlage gestellte Auslese zutage fördern kann. Vielen ist die Presse eine Zuflucht aus der Enge eines öden Berufslebens, eine Schule für die politische Ausbildung geworden, und man kann nur bedauern, dass die u. a. auch in der deutschen Presse herrschende Gewohnheit der Anonymität der Beiträge diese Kräfte nicht zu einer ihren Leistungen entsprechenden materiellen Stellung und zu einem persönlichen Auswirken in der praktischen Politik gelangen lässt, wie es in andern Staaten (z. B. Frankreich) nicht gerade selten vorkommt.

Das Verhältnis des Staates zur Presse ist, historisch betrachtet, ein vielfach wechselndes gewesen. Am einfachsten vielleicht hat schon Caesar den Widerstreit, der zwischen dem Staatsinteresse und dem Inhalt der Zeitungen entstehen kann, dadurch gelöst, dass er diesen letzteren den Privatkorrespondenten, welche die Provinzen mit Nachrichten versorgten, versandfertig zur Verfügung stellte. Und eine ähnliche Rücksicht scheint bei dem King-pao der Chinesen wirksam gewesen zu sein: das Volk erfährt, was es die Regierung wissen lassen will. Ein derartiges Verhalten des Staates schloss die allmähliche Entwicklung des modernen, durchaus auf sozialer Grundlage sich aufbauenden Zeitungswesens aus. Immerhin hat auch schon die reine Nachrichtenpresse der älteren Zeit und noch mehr die clandestine geschriebene Zeitung die Staatsmänner beunruhigt, und bereits die holländischen Wochenzeitungen des 17. Jahrhunderts haben mehr als einmal die Diplomatie in Bewegung gesetzt. Noch empfindlicher wirkte es, als in den englischen Zeitungen zuerst das parteipolitische Räsonnement einsetzte, und gerade das Parlament, dessen notwendige Ergänzung und Unterstützung nachmals das Zeitungswesen geworden ist, hat sich dieser Richtung am entschiedensten widersetzt. Seitdem haben die Regierungen ein ganzes Arsenal mit Waffen gefüllt, welche die Presse niederhalten sollten: Zensur und Zeitungsstempel, Konzessionspflicht, Kautionszwang, Entziehung des Postdebits, Verbot des Strassenverkaufs, administrative Beschlagnahme, und dennoch haben alle bedeutenden Staatsmänner ihrer für ihre Zwecke nicht entraten können.

Bekannt ist das Wort Friedrichs d. Gr. von den Gazetten, die nicht geniert sein dürfen, wenn sie interessant sein sollen, und dennoch hat er sie grausam verspottet, um dann doch wieder sie zur Stimmungmache durch eigne Artikel zu benutzen. Napoleon I. hat den Ausspruch getan, dass vier feindliche Zeitungen mehr Unheil anrichten können als 100 000 Soldaten; aber er hat die freie Presse in Frankreich unterdrückt. Bismarck hat sich mit grosser Virtuosität der Presse für [270] seine Zwecke bedient; aber er hat ihr seine Verachtung bei mehr als einer Gelegenheit zu erkennen gegeben und persönliche Anfechtungen in Zeitungen so regelmässig mit Strafanträgen verfolgt, dass er dazu gedruckter Antragsformulare bedurfte. Mehr als einmal sind für ihn „kalte Wasserstrahlen“, die er durch die Presse erteilte, zu einem Mittel geworden, das er anwandte, wo die Künste der Diplomatie versagten.

Heute, wo auf dem Gebiete der auswärtigen Politik der grosse Einfluss der Presse mit Händen zu greifen ist, kann man die Gefahren ihres Wirkens kaum mehr unterschätzen. Enthüllungen und Übertreibungen in den Zeitungen sind fortgesetzt am Werke, um die Gegensätze zwischen den Völkern zu verschärfen, und der verhängnisvolle Einfluss der regierungsseitig adaptierten Berichte der grossen Depeschen-Agenturen wie einzelner begabter Korrespondenten ist auf Schritt und Tritt in der Gestaltung der internationalen Beziehungen zu verspüren. Es wird sich nicht verkennen lassen, dass die Diplomatie einen Teil ihrer Aufgabe an die Presse verloren hat.

Und auch in der inneren Politik ist ihr Einfluss gewachsen. Nicht nur dass sie in der sachkundigen Erörterung schwebender Fragen die Arbeit von Regierung und Volksvertretung ergänzt und unterstützt, der ganze Parlamentarismus würde zur Bedeutungslosigkeit herabsinken, fehlte ihm die Publizität des Presse, und ebenso würde die Öffentlichkeit der Rechtsprechung ohne sie ein wesenloses Prinzip bleiben.

Kein Wunder, dass unter diesen Umständen die Staatsregierungen sich der Unterstützung der Presse in dieser oder jener Form zu versichern suchen. Fast alle haben ihre amtlichen Tageszeitungen, in denen Gesetze und Verordnungen publiziert und verschiedenerlei öffentliche Anzeigen erlassen werden, für welche die Gesetze Publizität vorschreiben. Diesen offiziellen Zentralorganen treten zahlreiche Kreisblätter, Amtsverkündiger u. dergl. zur Seite, durch welche bis in die kleineren Verwaltungseinheiten hinab die An- und Absichten der Regierung in authentischer Form verbreitet, widerstreitende Ansichten bekämpft, kurz der staatlichen Oberleitung günstige Stimmungen erzeugt werden können. Dazu kommen offizielle „literarische Bureaux“, welche namentlich die Kleinpresse mit Artikeln versorgen.

Weit schwieriger ist die offiziöse Presse zu umschreiben, d. h. diejenigen privaten Zeitungsunternehmungen, welche regelmässige Beziehungen zur Regierung unterhalten, von ihr mit Informationen versehen werden und sich eventuell auch dazu hergeben, in Regierungskreisen geschriebene Artikel in unauffälliger Form zu veröffentlichen. Von den Blättern, welche täglich der herrschenden Gewalt einen gewissen Raum unbedruckten Papiers zur Verfügung stellen, bis zu den Zeitungen, welche bloss Fühlung mit der Regierung halten, um das von ihr erlangte Material in einer ihren Redaktionen beliebenden Weise zu benutzen, ist eine grosse Mannigfaltigkeit von Graden der Abhängigkeit und des Entgegenkommens. Immerhin würde bei schärferem Zusehen in diesem Zwielicht der Erscheinungen auch manches Bedenkliche zu entdecken sein, wie denn der dafür erfundene Ausdruck „Reptilienpresse“ bei uns in Deutschland den Tiefstand politischer Charakterlosigkeit bedeutet. Aber es gibt doch auch noch andere Verhältnisse der politischen Abhängigkeit in der Presse, und die Stellung eines Blattes, das von einer Partei oder einer Interessentengruppe erhalten wird, dürfte oft viel grössere Opfer der persönlichen Überzeugung fordern, als sie ein grosser Teil der halb oder ganz offiziösen Presse verlangt. Dass in der auswärtigen Politik die gesamte Presse des Landes so lange als möglich eine der Regierung freundliche Haltung bewahrt, ist eine Forderung, deren Berechtigung nur von einer hirnwütigen Opposition verkannt werden kann.