RE:Ἀγὼν Ὁμήρου καὶ Ἡσιόδου

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Schrift zum Wettkampf der Dichter Homer und Hesiod
Band I,1 (1893) S. 867 (IA)–869 (IA)
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Ἀγὼν Ὁμήρου καὶ Ἡσιόδου, vielmehr περὶ Ὁμήρου καὶ Ἡσιόδου καὶ τοῦ γένους καὶ ἀγῶνος αὐτῶν, ist der Titel eines im codex Laurentianus LVI 1 saec. XIV (F) (R. Schoell Hermes III 274) überlieferten Schriftchens. Nach eigener Abschrift von H. Stephanus Genf 1573 zum ersten Male gedruckt, ist es erst von F. Nietzsche nach neuer Collation der von V. Rose festgestellten Hs. mit umsichtiger Benutzung des Parallelmaterials 1871 in den Acta societatis philologae Lipsiensis I 1 herausgegeben worden, danach von Rzach hinter seinem Hesiod S. 235.

Es besteht aus 4 Teilen: a) einer Zusammenstellung über die Abkunft der beiden Dichter und dem Anfang einer Homervita, b) der Schilderung ihres Wettkampfes, c) der Erzählung vom Lebensende des Hesiod, d) dem Schlusse einer Homervita. Zusammengestellt ist diese Schrift, von der uns nur ein Excerpt vorliegt, zur Zeit Hadrians, da Z. 30 die Antwort der Pythia auf die Frage θειοτάτου αὐτοκράτορος Ἁδριανοῦ nach Geschlecht und Vaterland Homers mitgeteilt ist. Dies scheint das Einzige zu sein, was dieser Compilator selbst hinzugethan hat; die übrigen Bestandteile sind aus Quellen entlehnt, die auch von anderen benutzt, uns in mehreren bald reicheren, bald ärmeren Canälen zufliessen.

Der 1. Teil nimmt auf Hesiod nur im ersten Satze Rücksicht und in dem zum Beweise seiner Gleichzeitigkeit und Verwandtschaft mit Homer aufgestellten Stammbaume Z. 40–50; sonst handelt er nur von Homer und gehört aufs engste mit dem 4. Teile zusammen: vgl. Z. 58 mit Z. 312. [868] Er ist also nichts anderes, als eine Homervita, die als solche ohne Hinweis auf Hesiod noch in drei Gestalten vorliegt (Westermann Biographi Graeci p. 21 nr. 2. p. 27–30 nr. 4. 5), mit Rücksicht auf Hesiod als Homers Zeitgenossen bei Suidas s. Ὅμηρος und s. Ἡσίοδος, mit Polemik gegen die Gleichzeitigkeit der beiden Dichter in den Viten des Homer und Hesiod von Proklos (Westermann Biogr. Graeci p. 24. 45), bezw. von Joh. Tzetzes (V. Rose Aristoteles pseudepigraphus 509ff.).

Der 2. Teil ist der eigentliche Agon des Homer und Hesiod. Der Inhalt ist dieser: Bei der Leichenfeier des Königs Amphidamas in Chalkis, die von seinem Sohne Ganyktor veranstaltet war, sind Homer und Hesiod in einen Wettkampf vor dem Preisrichter Paneides, dem Bruder des Verstorbenen, eingetreten. Sie reden in Hexametern. Zuerst legt Hesiod schwierige Fragen vor, die Homer glänzend beantwortet: vgl. den Seherwettstreit des Kalchas und Mopsos bei Hesiod frg. 188 Rz. Darauf beginnt Hesiod die verschiedensten Schilderungen, Erzählungen u. s. w., je mitten inne aufhörend; Homer muss sie dem Anfang entsprechend vollenden. Es ist ein ἀγὼν ὑποβολῆς, v. Wilamowitz Homerische Untersuchungen 265f. Da Homer auch diesen Wettkampf siegreich besteht, beginnt Hesiod wieder mit der ersten Art Z. 133–170, doch ohne über Homer einen Vorteil zu gewinnen. Das Volk wünscht diesen bekränzt zu sehen (Z. 170), doch der Kampfrichter Paneides befiehlt ihnen, je das Schönste aus ihren Gedichten vorzutragen. Hesiod wählt ein Stück aus seinen Werken und Tagen (v. 383ff.), Homer (Il. XIII 126–344) die Aufreizung der beiden Aias durch Poseidon und das darauf folgende Schlachtenbild (s. Nietzsche Rh. Mus. N. F. XXV 530). Trotz der Begeisterung der Hellenen für Homer bekränzt Paneides (Z. 200) den Hesiod, weil es gerecht sei, den Sänger des Friedens dem Dichter des Krieges vorzuziehen. Als Preis erhält Hesiod einen ehernen Dreifuss: er weiht ihn den Musen auf dem Helikon. Auch von dem Agon giebt die Florentiner Hs. nur ein Excerpt, jedoch bei weitem das reichste. Die Benutzung derselben Quelle ist nachgewiesen bei Dio Chrysostomos orat. II § 9. Plut. Conviv. Sept. Sap. 10; Qu. Sympos. V 2. Philostratos Heroic. XVIII 2. Themistios orat. XXX init. Proklos (bezw. J. Tzetzes) Vita Hesiod. 2 (p. 47 West.). Vgl. Nietzsche Rh. Mus. N. F. XXV 532ff. Ein Fragment dieser Schrift Z. 65–95 ist auf einem Papyrus des 3. Jhdts. v. Chr. in ziemlich abweichender Fassung zu Tage gekommen: J. P. Mahaffy on the Flinders Petrie Papyri, Cunningham Memoirs VIII, Dublin 1891, Tfl. XXV nr. 1; vgl. S. 70–73; dazu Rzach Wien. Stud. XIV 139.

Der Wettkampf des Homer und Hesiod ist aus Andeutungen Hesiods herausgesponnen: frg. 244 Rz. sagt er, in Delos habe er und Homer in neuen Liedern Apollon besungen und v. 654ff. der Werke und Tage erzählt er, in Chalkis bei den Leichenspielen des Amphidamas habe er im Gesange gesiegt und den Preisdreifuss den helikonischen Musen geweiht. Da nun zwei Verse aus dem Agon (Z. 74f.) im Florilegium des Stobaeus 120 citiert werden unter dem Titel ἐκ τοῦ Ἀλκιδάμαντος [869] Μουσείου, und das Museion des Alkidamas auch in der Florentiner Hs. (Z. 232, im 3. Teil) angeführt wird, so hat Nietzsche Rh. Mus. XXV 536ff. geschlossen, Alkidamas, der Schüler des Gorgias, sei der Verfasser des uns im Florentiner Excerpt erhaltenen Agon; er habe ihn an den Anfang seines Museion, d. i. der „Schule des Talents“ gestellt, um an Homer die Vorzüge des schlagfertigen Improvisators, wie sein Lehrer Gorgias und er selbst waren, zu illustrieren (Rh. Mus. XXVIII 211ff.). Anders urteilen Sauppe Orat. Attici II 155. Vahlen Sitzungsber. Akad. Wien XLIII 1863, 493ff. Bergk Analecta Alexandrina, Marburg 1846, I 21, der diesen Alkidamas für einen Periegeten und sein Museion für eine Beschreibung des helikonischen Musenheiligtums hält. Der erwähnte Papyrus beweist, dass bereits im 3. vorchristlichen Jahrhundert ein prosaisches Werk vorhanden war, das die Verse der streitenden Dichter enthielt. Da er auch die von Stobaeus aus dem Museion des Alkidamas citierten beiden Verse enthält, hat Nietzsches Vermutung eine neue Bestätigung erfahren.

Der 3. Teil des Florentiner Excerptes erzählt die Ermordung Hesiods im lokrischen Oinoe, Euboia gegenüber (s. Pallat de fabula Ariadnaea, Berlin Diss. 1891, 10ff.) durch Amphiphanes und Ganyktor, welche ihn im Verdacht hatten, ihre Schwester geschändet zu haben, und die Bestrafung der Mörder, mit der Notiz ὥς φησιν Ἀλκιδάμας ἐν Μουσείῳ; darauf eine andere Version dieser Sage nach Eratosthenes. Vgl. Nietzsche Rh. Mus. XXVIII 222ff. Friedel Jahrb. f. Philol. Suppl. X 233ff. Somit gehört auch die 1. Hälfte des 3. Teiles zu dem im 2. Teile wiedergegebenen Agon des Alkidamas; schwerlich dagegen der im 4. Teile erzählte Tod Homers, den Nietzsche (Rh. Mus. XXV 538) als Gegenstück zum Ende Hesiods ebenfalls der Schrift des Alkidamas zuweist.