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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

aber der Aufenthalt an seinem Hofe wurde mir eine Zeitlang gründlich verleidet durch die Heirathspläne, mit denen mich besonders die Prinzessin Katharine verfolgte. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, aus einer ihrer Hofdamen und mir ein Paar zu machen. Daß mir das Mädchen völlig gleichgültig sein könne, hielt man für unmöglich, da sie für eine der ersten Schönheiten galt und Vieler Herzen bestrickt hatte. All’ mein Protestiren half nichts, man spann die kleine Intrigue immer weiter, und so schnitt ich sie eines Tages kurz ab, indem ich Ihrer Durchlaucht erklärte, daß mich eine derartige Wahl eines meiner Güter kosten würde, denn es falle, laut Testament meines Onkels, dem Staat anheim, wenn ich eine Gattin heimführen sollte, die nicht ihre sechszehn Ahnen habe… Mit jener Erklärung hatten alle Quälereien ein Ende; im ganzen, kleinen Lande ist ja kein solcher Stammbaum zu finden, und man begriff völlig, daß ich mein Gut zu behalten wünschte.“

„Und um meinetwillen erleidest Du jetzt einen solchen Verlust?“ rief Elisabeth betroffen.

„Es ist kein Verlust, Elisabeth, es ist nur ein Tausch, ein Tausch, bei welchem ich einen unermeßlichen Schatz, des Lebens höchste Glückseligkeit, gewinne.“

Eine Fackel tauchte seitwärts im Dickicht auf.

„Halt, hierher!“ rief Herr von Walde.

Einer seiner Diener stand alsbald vor ihm. Er beauftragte denselben, so rasch, wie möglich hinauf nach Gnadeck zu eilen und Fräulein Ferber’s Zurückkunft anzumelden.

Der Bediente eilte spornstreichs davon.

„Ich bin sehr egoistisch gewesen, Elisabeth,“ sagte Herr von Walde, indem er ihren Arm in den seinen legte und nun ungesäumt mit ihr vorwärts schritt. „Ich wußte, daß Deine Verwandten in großer Angst und Unruhe um Dich sind; Vater und Onkel suchen Dich drüben im fürstlichen Waldrevier; meine sämmtlichen Leute und die Lindhofer Bauern durchstreifen Deinetwegen die Gegend nach allen Richtungen hin, und ich vergaß Alles in dem Augenblick, als ich Dich fand.“

„Meine armen Eltern!“ seufzte Elisabeth nicht ohne Gewissensbisse; auch für sie war ja die ganze Welt versunken, als er gekommen war, sie zu befreien.

„Friedrich hat flinke Füße,“ tröstete Walde, „er wird lange vor uns auf dem Berge sein und die Deinen beruhigen.“

Sie traten in den Park ein und schritten am Schloß vorüber. Es lag finster und schweigend da. Nur aus Helenens Schlafzimmer schimmerte gedämpftes Lampenlicht.

„Dort wird jetzt ein Kampf auf Leben und Tod gekämpft,“ murmelte Herr von Walde hinüberblickend. „Sie hat den Elenden wahrhaft fanatisch geliebt; wie furchtbar muß die Erkenntniß sein!“

„Gehe hinauf und tröste sie,“ bat Elisabeth.

„Trösten? In solchem Augenblick? … Kind, mir hätte einer mit Trostgründen kommen sollen, als ich Dich zu verlieren glaubte! … Helene hat sich eingeschlossen, seit ich den Befehl gegeben habe, man möge Herrn von Hollfeld’s Pferd vorführen, aber die Kammerfrau ist in ihrer Nähe. Es wird einer längeren Zeit bedürfen, ehe sie mich sucht und meinen Anblick wünscht, denn sie hat sich um jenes Erbärmlichen willen von mir losgerissen; ein Mensch aber, der so schwer getäuscht wurde, kehrt selten augenblicklich zurück zu denen, die ihn gewarnt haben.… Uebrigens werde ich heute mein Haus nicht wieder betreten, ohne mich versichert zu haben, daß Deine Eltern Dich mir nicht entreißen wollen.“

Seitwärts zweigte sich der Weg ab, an welchem die bewußte Gartenbank stand.

„Weißt Du noch?“ fragte Elisabeth lächelnd und deutete hinüber.

„Ja, ja. Dort sprachst Du den kühnen Entschluß aus, als Erzieherin in die weite Welt zu gehen, und ich nahm mir die Freiheit, zu denken, daß ich dies nun und nimmer zugeben würde. Es bedurfte all meiner Selbstbeherrschung, daß ich den kleinen, verwegenen Zugvogel nicht sofort in meine Arme nahm und sein goldenes Köpfchen voll trotziger, stolzer Gedanken an meine Brust drückte… Dort entlockte ich Dir das unbewußte, naive Geständniß, daß Deine Eltern noch den ersten Platz in Deinem Herzen behaupteten. Aber Du nahmst auch eine abweisende, kühle Haltung an, als ich mich unterfangen wollte, vertrauensvoll zu sprechen.“

„Das war Schüchternheit … und ich bin noch nicht sicher, ob ich nicht morgen, wenn ich Deine strenge Stirn bei Tagesbeleuchtung sehe, in meine Verzagtheit zurückfalle.“

„Sie wird nicht mehr streng aussehen, mein Kind, das Glück hat sie mit weichem Finger berührt.“ –

Bald nachher erlebten die alten Buchen, die über die Waldblöße hinweg in das hellerleuchtete Ferber’sche Wohnzimmer sehen konnten, ein seltenes Schauspiel. Ein hoher Mann, dessen Gesicht die Blässe tiefer, innerer Bewegung bedeckte, führte die Tochter den Eltern zu, um sie in demselben Augenblick zurückzufordern als sein künftiges Weib, sein zweites Ich. Die alten Buchen sahen, wie er die junge Braut in die Arme nahm und so den Segen der erschütterten Eltern empfing, sahen, wie ein unter Thränen lächelndes Muttergesicht dankend zum Himmel aufblickte und wie der kleine Ernst an Hänschens Käfig rüttelte, um dem verschlafenen Sänger im gelben Frack feierlich zu verkünden, daß die Else merkwürdigerweise Braut sei.

(Schluß folgt.)




Der Napoleon der Kunstreiter.


An einem Herbsttage des Jahres 1839 zog eine kleine Künstlerkarawane auf der Straße nach Naumburg a. d. S., im Ganzen sieben Personen mit sechs Pferden, an deren Spitze der damals noch sehr junge und völlig unbekannte Director ritt. Als Knabe von sechs Jahren war er von dem Kunstreiter und Seiltänzer Maxwell an Kindesstatt angenommen worden. Fünf Jahre hatte er bei seinen Pflegeeltern gelebt und an ihren halsbrechenden Vorstellungen Theil genommen, als seine Adoptiv-Mutter in Mainz vom Thurmseil stürzte und auf der Stelle todt liegen blieb.

Das furchtbare Ereigniß löste nicht nur die Familienbande, sondern zerstörte auch die Verhältnisse der Gesellschaft, welche sich in alle Winde zerstreute. Der kleine Ernst Renz, so hieß der Knabe, hatte sich durch Fleiß und Ausdauer bereits einen hohen Grad von Geschicklichkeit in seiner Kunst erworben, so daß er bei dem bekannten Director Brillof ein Engagement fand und bald dessen Pflegesohn wurde. Als jedoch sein neuer Adoptiv-Vater in Erfurt plötzlich am Nervenfieber starb, beschloß er, selbst die Direction zu übernehmen, obgleich es ihm an allen dazu nöthigen Mitteln fehlte.

Das nahe Naumburg war das Ziel seiner ersten Wanderung, aber das Schicksal schien es anders beschlossen zu haben. Schon sah die müde Karawane am fernen Horizont die von der Abendsonne beleuchteten Thürme der ersehnten Stadt, als sich plötzlich ein mächtiger Schlagbaum ihnen entgegenstellte und den Eingang sperrte. Das Fatum in Gestalt eines königlich preußischen Chaussee-Einnehmers erhob seinen drohenden Finger, den prosaischen Klingelbeutel, und verlangte den üblichen Zoll von zwanzig Silbergroschen. Bei Nennung dieser unerschwinglichen Summe stieß der Herr Director einen tiefen Seufzer aus, das frohe Gelächter der lustigen Gesellschaft verstummte und selbst der heitere Clown, der privilegirte Spaßvogel, ließ das groteske Haupt sinken und machte ein langes Gesicht. Jeder suchte in seiner Tasche, aber vergebens, denn sämmtliche Herren und Damen besaßen keine zwanzig Silbergroschen in ihrem Vermögen. Die Situation war im höchsten Grade kritisch und wie einst Cäsar am Rubikon, so stand Renz vor dem schwarzweißen Schlagbaum. Aber nur einen Augenblick dauerte seine Verlegenheit, und wie der berühmte römische Feldherr rief auch er: „Der Würfel ist gefallen!“

Lautlos griff er in die Westentasche, holte seine silberne Uhr heraus und ließ sie mit wehmüthigem Lächeln in den unersättlichen Klingelbeutel gleiten, worauf der Schlagbaum fiel und die Gesellschaft ungehindert ihren Weg nach Naumburg fortsetzen durfte. Hier war dem bedrängten Director die Militär-Reitbahn zur Benutzung als Circus bewilligt worden. Die erste Vorstellung sollte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_276.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)