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begabte Frau, sehr schnöde behandelte. Wer uns damals seine großartige Laufbahn prophezeit hätte, würde wenig Glauben gefunden haben. Ich, ein unbedeutender und schüchterner junger Mensch, kam ihm natürlich auch nicht nahe. Obgleich ich mehrmals mit ihm zusammengetroffen bin und mit ihm gesprochen habe, hat er mich schwerlich jemals hinreichend bemerkt, um sich später meiner zu erinnern.

Es würde mir wahrscheinlich im Laufe der Zeit gelungen sein, mir, wenn auch nicht an der großen eidgenössischen Universität in Zürich, deren Einrichtung wohl nicht ernstlich beabsichtigt wurde, aber doch an irgendeiner andern Anstalt eine Lehrstelle zu gewinnen, wäre nicht die stille Geschäftigkeit meiner Existenz von einem Ereignis unterbrochen worden, das meinen Lebenslauf in eine andere Richtung zu drängen bestimmt war. Das unglückliche Schicksal meines Freundes Kinkel erregte mein Mitgefühl in so hohem Grade, daß ich einem Ruf um Hilfe, der an mich erging, nicht widerstehen konnte. Kinkel war, wie schon erwähnt, unmittelbar vor der Einschließung von Rastatt in einem Gefechte am Kopf verwundet und von den Preußen ergriffen worden. Man brachte ihn zuerst nach Karlsruhe und dann, nachdem durch die Übergabe von Rastatt der Aufstand sein Ende erreicht hatte, in diese Festung, wo er mit den übrigen gefangenen Notabilitäten der pfälzisch-badischen Erhebung kriegsgerichtlich abgeurteilt werden sollte. Am 4. August erschien Kinkel vor dem Kriegsgericht, das aus preußischen Offizieren bestand. Todesurteile waren damals an der Tagesordnung, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß vom Armeekommando sowohl wie von der preußischen Regierung Kinkels Verurteilung zum Tode gewünscht und erwartet wurde. Aber Kinkel führte seine Verteidigung zum Teil selbst, und dem Zauber seiner wunderbaren Beredsamkeit konnten sich auch die an den blutigen Geist des Kriegsrechts und den strengsten Glauben an die absolute Königsgewalt gewöhnten Offiziere, die seine Richter waren, nicht entziehen. Anstatt zum Tode verurteilten sie ihn zu lebenslänglicher Festungshaft.

Den Freunden Kinkels, den Verehrern des Dichters, ja, ich darf sagen einer großen Mehrheit des deutschen Volkes erschien dieser Urteilsspruch immer noch grausam genug. Aber die preußische Regierung gab sofort ihre Unzufriedenheit mit diesem Spruche zu erkennen, weil er zu milde sei. Es kam ein Gerücht in Umlauf, daß das Erkenntnis vorgekommener Formfehler wegen beiseite gesetzt, und daß Kinkel vor ein neues Kriegsgericht gestellt werden solle. Wochenlang hatte der Arme mit Bangen und Hoffen auf die Bestätigung oder Verwerfung des Urteils zu warten, bis endlich am 30. September folgende Bekanntmachung erschien:

„Warnung. Der ehemalige Professor und Wehrmann in den Freischaren, Johann Gottfried Kinkel aus Bonn, wurde, weil er unter den badischen Insurgenten mit den Waffen in der Hand gegen preußische Truppen gefochten, durch das zu Rastatt angeordnete Kriegsgericht zu dem Verlust der preußischen Nationalkokarde und, statt zur Todesstrafe, nur zu lebenslänglicher Festungsstrafe verurteilt. Zur Prüfung der Gesetzlichkeit wurde dies Urteil von mir dem königlichen Generalauditoriate, und von demselben als ungesetzlich Sr. Majestät dem König

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s165.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)