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und Hagel wirbelten durcheinander. Ein Donnerschlag, und er fuhr zum Himmel auf und verschwand.

Liu I fiel vor Schrecken zur Erde. Der König half ihm mit eigener Hand wieder auf und sagte: „Keine Angst! Das ist mein Bruder, der in seinem Zorn nach Ging Dchou eilt. Bald wird gute Nachricht da sein.“

Darauf ließ er Wein und Speisen bringen, den Gast zu bewirten. Als der Becher dreimal die Runde gemacht hatte, da erhob sich säuselnd ein Zephirwind, und feiner Regen sprühte nieder. Ein Jüngling in purpurnem Gewand und hohem Hut trat ein. An der Seite trug er ein Schwert. Er sah männlich und heldenhaft aus. Hinter ihm ging ein Mädchen in strahlender Schönheit und nebelduftigem Gewand. Als er sie ansah, da wars die Drachenprinzessin, der er unterwegs begegnet war. Eine Schar von rotgekleideten Mädchen empfing sie unter Lachen und Kichern und führte sie ins Innere des Palastes. Der Herrscher aber stellte ihm den Jüngling vor und sagte: „Das ist Tsiän Tang, mein Bruder.“

Tsiän Tang bedankte sich bei ihm für die Überbringung der Botschaft. Dann wandte er sich an seinen Bruder und sprach: „Ich habe mit den verruchten Drachen gekämpft und sie gründlich besiegt.“

„Wieviele hast du umgebracht?“

„Sechshunderttausend.“

„Kamen Felder zu Schaden?“

„Achthundert Meilen weit.“

„Und wo ist der herzlose Gatte?“

„Ich hab ihn gefressen.“

Da sprach der König bestürzt: „Was der lose Knabe getan, war freilich nicht zu dulden. Doch bist du gar zu roh gewesen. In Zukunft darfst du so etwas nicht wieder tun.“ Tsiän Tang versprachs.

An jenem Abend wurde Liu I im Schloß festlich bewirtet. Musik und Tanz verschönerten das Mahl. Tausend Krieger mit Fahnen und Speeren in der Hand traten hervor.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_166.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)