Wilhelm Löhe’s Leben und Wirken auf dem Gebiete der inneren Mission und Diakonie

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Autor: Johannes Deinzer
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Titel: Wilh[elm] Löhe’s Leben und Wirken auf dem Gebiete der inneren Mission und Diakonie
Untertitel: Vortrag am III. Adventssonntag 1887 in der Versammlung des Lokalvereins für innere Mission in der St. Moritzkapelle in Nürnberg gehalten und auf Verlangen dem Druck übergeben
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Verlag der Joh. Phil. Raw’schen Buchhandlung
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Wilh. Löhe’s Leben und Wirken
auf dem Gebiete der
inneren Mission und Diakonie.




Vortrag
am III. Adventssonntag 1887
in der Versammlung des Lokalvereins für innere Mission in der St. Moritzkapelle in Nürnberg gehalten und auf Verlangen dem Druck übergeben
von
Johannes Deinzer,
Missions-Inspektor in Neuendettelsau.




Der Reinertrag ist für die Mission bestimmt.


Nürnberg 1888.
Verlag der Joh. Phil. Raw’schen Buchhandlung
(C. A. Braun.)

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(Buchdruckerei O. Tschopp, Nürnberg)


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Verehrte Anwesende!

 „Er ist aufgefahren in die Höhe und hat Gaben gegeben den Menschen" sagt der Apostel Eph. 4, 8–11. Und als solche Gaben nennt er dann nicht blos Apostel und Propheten, sondern auch Evangelisten, Hirten und Lehrer. So kann man denn im Anschluß an dies Apostelwort getrost behaupten: die größte Gnade, welche Gott einer Zeit und einem Geschlecht erzeigen kann, ist die, daß er Seiner Kirche hochbegabte, mit Seinem Geist und Gaben ausgerüstete Zeugen gibt, Männer des Glaubens, von denen, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers auf ihre Umgebung fließen. Eine solche Gabe aus der Hand des Erhöhten, ein brennend und scheinend Licht unter uns, ist auch der Mann gewesen, von dessen Wirken auf dem Gebiet der inneren Mission und Diakonie ich Ihnen heute erzählen soll. Es ist mir die in dieser Fassung des Themas liegende Begrenzung meiner Aufgabe angenehm. Denn einmal wäre es nicht möglich das Bild eines so reichen Lebens in den Rahmen eines kurzen Vortrags zu spannen, und zum andern darf gerade eine Schilderung dieses Theils von Löhes Lebensarbeit auf Teilnahme und Verständnis auch solcher rechnen, denen Löhe wegen seines entschiedenen Festhaltens am lutherischen Bekenntnis namentlich zur Zeit der kirchlichen Kämpfe in Bayern ein Zeichen des Widerspruchs gewesen war. Ja gewiß, es hat in Löhes Leben an Widerspruch von Feinden und „befreundeten Gegnern“ nicht gefehlt. Aber auch das ist wahr, daß wenigstens im letzten Abschnitt seines Lebens, als er sich seiner friedlichen Thätigkeit auf dem Gebiet der Barmherzigkeit zuwandte, und Gott Segen zu seinem Thun gab und ihm verlieh „durch das Jammerthal zu gehen und daselbst Brunnen zu machen,“ die Anerkennung den Widerspruch mehr und mehr übertönte, ja mehr und mehr verstummen machte. Und gewiß war, als er am 2. Januar 1872 sein Haupt zur Ruhe legte, in der ganzen bayerischen Landeskirche, ja in der lutherischen Kirche diesseits und jenseits des Oceans das Gefühl allgemein: „Es ist ein Fürst und Großer gefallen in Israel.“

|  Ehe ich Sie nun auf den Schauplatz der Wirksamkeit Löhes auf dem Gebiet der inneren Mission und Diakonie führe, schicke ich, Ihrem Wunsche gemäß, einen kurzen Abriß seines äußeren Lebensgangs voraus.

 Löhe war geboren am 21. Februar 1808 in der damals noch ziemlich unbedeutenden Kleinstadt Fürth als der Sohn einer geachteten Bürgerfamilie. Der Vater, Kaufmann und Munizipalrath in Fürth, ein in seiner Vaterstadt hochangesehener Mann, starb bereits im Jahr 1816. Den bedeutendsten Einfluß auf sein geistiges und sittliches Werden und Wachstum übte die Mutter aus, eine verständige und fromme Frau, vor der Löhe, auch als er längst zum Manne geworden war, je und je in Ehrfurcht und Hochachtung sich neigte. Nachdem er die Schulen seiner Vaterstadt absolviert hatte, wurde er Schüler des hiesigen Gymnasiums. Hier hatte er das Glück Rektor Roth zum Lehrer und Erzieher zu bekommen, einen Mann, der ihm zeitlebens Gegenstand der Verehrung und Vorbild war, der ihm, wie er selber sagte, ein Johannes der Täufer wurde, der ihn für Christum vorbereitete. In Erlangen und Berlin studierte er Theologie. Während die Vorlesungen der übrigen wesentlich auf rationalistischem Standpunkt stehenden Erlanger Professoren „für seine unruhige und dürstende Seele wie heißer Sand“ waren, wurde der fromme, der reformierten Kirche angehörige Professor Krafft für ihn ein Lehrer zum Himmelreich. Nachdem Löhe seine Universitätsstudien beendet hatte, begann für ihn eine Zeit geistlicher Wanderschaft, in welcher er an nicht weniger als acht Gemeinden als Vikar und Verweser wirkte, überall unvergänglichen Samen ausstreuend und die Herzen mächtig zu Buße und Glauben erweckend. Die Gemeinde in Kirchenlamitz, an welcher er über 2 Jahre wirkte, war seine erste Liebe; er selbst hat die dort zugebrachte Zeit die Hochzeit seines Lebens genannt. Auch Nürnberg ist vom Juni 1834 bis März 1835 eine Stätte seiner Wirksamkeit gewesen, und auch hier erwiesen sich seine geistesgewaltigen Predigten von mächtiger Anziehungskraft. Männer wie der ehrwürdige Bürgermeister Merkel und Rektor Roth lauschten den Worten des jungen Verwesers als regelmäßige Teilnehmer an den Bibelstunden, die Löhe Sonntag Morgens um 6 Uhr in einer Kapelle der Aegydienkirche hielt.

 Einige Jahre nachher erhielt Löhe die Pfarrei Neuendettelsau. Die Gemeinde hatte sich ihn von dem damaligen Patron, Freiherrn v. Eyb erbeten, und die nach Eichstädt abgegangene Deputation war bereit zur Unterstützung ihrer Bitte vor dem Gutsherrn einen Fußfall zu thun, eine Huldigung, welche sich dieser jedoch verbat. Übrigens gewährte er der| Gemeinde ihren Wunsch, und so wurde Löhe am 26. August 1837 als Pfarrer von Neuendettelsau installiert, nachdem er kurz vorher mit Jungfrau Helene Andreä aus Frankfurt getraut worden war. Leider währte diese überaus glückliche Ehe nur 6 Jahre; bereits am 24. November 1843 wurde ihm die geliebte Lebensgefährtin durch den Tod entrissen. Von da an hat Löhe fast 30 Jahre lang ein einsames Leben geführt, das von Kreuz aller Art reichlich heimgesucht war, also daß er es selbst oft im Anklang an 1 Mose 5, 29 ein „getröstetes Elend“ nannte. Aber wenn ihm auch seitdem nicht mehr viel Freuden der Erde blühten, so ist ihm doch sonderlich von dieser Zeit an ein mächtiges Gedeihen und Gelingen seiner schaffenden Thätigkeit im Dienst des Reiches Gottes gegeben worden, wie es Wenigen beschieden ist. Zur Betrachtung derselben wenden wir uns nun.
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 Als seine wichtigste Thätigkeit auf dem Gebiet der inneren Mission ist seine Liebesarbeit für Nordamerika zu bezeichnen, d. h. seine Fürsorge für die nach Amerika ausgewanderten Volks- und Glaubensgenossen, die in den Wäldern und Prairien Amerikas zu hunderttausenden zerstreut giengen wie die Schafe, die keinen Hirten haben. Wynekens Notruf, der vom Gestade des atlantischen Oceans herüber an die evangelische Christenheit Deutschlands die Bitte des mazedonischen Mannes ertönen ließ: „Komm herüber und hilf uns!“ hatte Löhes Seele gefaßt, und von da an wurde er der beredteste Anwalt und Fürbitter, ja der thatkräftigste Helfer der verlassenen Glaubensgenossen in Nordamerika. Ja man darf sagen: Löhe hat, nachdem er selbst von Wyneken angeregt war, der lutherischen Christenheit Deutschlands ihre Liebespflicht und Liebesschuld gegenüber ihren zerstreuten und geistlich verwahrlosten Kindern drüben in Amerika erst zum Bewußtsein gebracht; er hat ihr jenes Gotteswort, welches auch von da an das Losungswort der gesammten amerikanischen Missionsthätigkeit geworden ist, welches später auch die Gesellschaft für innere Mission in ihr Schild und Wappen genommen hat, ins Gewissen gerufen: Lasset uns Gutes thun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen. Gal. 6, 10. Damals hat er das seitdem so oft wiederholte Wort gesprochen: es sei unnatürlich und thöricht, wenn man unter den Heiden mit Löffeln wieder einfassen wolle, was man in Amerika mit Schäffeln ausschütte (d. h. die verlassenen Glaubensgenossen in Amerika vergesse und der Bekehrung einzelner Seelen in der Heidenwelt nachjage); innere Mission sei so notwendig als die äußere und es sei auf beide jenes Wort des HErrn anzuwenden: „Dieses sollte man thun und jenes nicht lassen.“ Ja diesem Sinne ging er selbst an’s Werk und sandte im Jahre 1842 die| beiden ersten Nothelfer, zwei schlichte Handwerker, nach empfangener kurzer Vorbildung nach Amerika, „zwei Körnlein Salzes (wie Löhe damals schrieb) für ein Brosamlein Gottes.“ Nicht als Prediger des Evangeliums, sondern als Elementar- und Religionslehrer sollten sie suchen ein Segen zu werden für irgend ein Häuflein verlassener Glaubensgenossen in Amerika. Aber die Notstände, denen es dort abzuhelfen galt, nötigten bald über Löhes ursprünglichen Plan, der lutherischen Kirche Amerikas durch Ausbildung von Schullehrern zu dienen, hinauszugehen. Der Predigermangel war der schreiendere Notstand, und so mußten Löhes erste Sendlinge wider seinen und ohne ihren Willen den Schullehrerberuf mit dem Predigtamt vertauschen. Den schlichten Nothelfern folgte indes bald eine ganze Anzahl akademisch gebildeter Jünglinge, Kandidaten der Theologie, Philologie und Philosophie, welche wenige Jahre später mit den unter Stephan ausgewanderten Sachsen, an deren Spitze damals der unlängst verstorbene Professor Walther stand, die heute so groß und mächtig dastehende Synode von Missouri gründeten. Als dann später Verschiedenheiten der kirchlichen Richtung eine Trennung von der Missourisynode herbeiführten, kam es zur Bildung einer zweiten Synode, der von Iowa. Auch diese ist, auf ihre Entstehung gesehen, eine Pflanzung von Löhes Hand, und auch sie ist im Laufe der Jahre aus senfkornartigen Anfängen zu einem Baume erwachsen, dessen Wipfel weite Gebiete der nordamerikanischen Freistaaten beschatten. Die Zahl der von Neuendettelsau oder in Verbindung mit Neuendettelsau nach Amerika ausgegangenen Sendboten beträgt bereits 222, und wenn man bedenkt, wie viele deutsche Glaubensgenossen, die außerdem in der Wüste hätten geistlich verschmachten müssen, durch diese Schaaren von Evangelisten für Christum und das Glück eines christlichen Gemeinschaftslebens gewonnen worden sind, so wird man wohl sagen können: die amerikanische Missionsarbeit ist vielleicht die gesegnetste Missionsthätigkeit des Jahrhunderts gewesen, und der Ehrenname, den einer der hervorragendsten englisch-lutherischen Pastoren in Amerika vor meinen Ohren dem sel. Löhe beilegte, als er ihn neben Francke, Mühlenberg etc. zu den größten Wohlthätern der lutherischen Kirche Amerikas zählte, war jedenfalls eine wohlverdiente Anerkennung seiner Verdienste um den Bau des Reiches Gottes in jenem fernen Lande.
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 Doch die Wirkung von Löhes Leben und Lebensarbeit ging ja nicht blos hinaus in die Ferne; es hätte ihm diese Wirksamkeit über seine nächste Umgebung hinweg und hinaus in die Ferne und Weite sicherlich nicht [g]enügt. Der Heimat, der geliebten fränkischen Heimat, wünschte er vor| allem zu dienen. Und der Heimat (der nächsten Heimat freilich erst nach Besiegung mannigfacher Vorurteile) kam denn auch die Frucht jener Glaubens- und Liebesarbeit zu gute, zu deren Schilderung ich nun übergehe, seiner Wirksamkeit auf dem Gebiet der Diakonie.

 Was wollte Löhe, als er in Gemeinschaft mit einer Anzahl Männer und Frauen des Kapitels Windsbach am 13. März 1854 einen lutherischen Verein für weibliche Diakonie in Bayern gründete? Er hatte es nicht zunächst auf Gründung von Anstalten abgesehen, er wollte vielmehr „ein Feuer der Barmherzigkeit im ganzen Lande anzünden.“ Ein Netz von gleichgearteten Vereinen sollte sich über das ganze Land legen und durch sie allenthalben der Geist barmherziger Liebe geweckt werden, der sich dann selber die mannigfachsten Formen und Weisen seiner Bethätigung schaffen konnte und sollte. Die Ausführung blieb ja hinter dem Gedanken zurück, aber dennoch darf man es als Löhes erstes Verdienst auf dem Gebiet der Diakonie bezeichnen, daß er den Sinn für Barmherzigkeit und für die Werke der Barmherzigkeit, das Auge und die Teilnahme für all das geistleibliche Elend, dem Diakonissenarbeit abhelfen kann und soll, in weiteren Kreisen unseres engeren Vaterlands durch Wort und Schrift geweckt und erschlossen hat. Wie oft und gern floß sein Mund über vom Ruhm und Preis der Barmherzigkeit, der alle Menschengedanken übersteigenden göttlichen Barmherzigkeit und der an ihrem Feuer sich entzündenden menschlichen Barmherzigkeit, „dieser erstgebornen Tochter des Glaubens.“ Vielen von Ihnen ist sein Schriftchen „von der Barmherzigkeit“ bekannt, in welchem er die ganze Geschichte des Reiches Gottes unter dem Gesichtspunkt der mit der göttlichen Gerechtigkeit ringenden Barmherzigkeit betrachtet und (mit seinen eigenen Worten zu reden) nachweist, „wie durch die ganze Geschichte neben dem roten Faden der göttlichen Gerechtigkeit der blaue Faden seiner Barmherzigkeit läuft, bis auf dem Höhepunkt aller Geschichte, auf Golgatha, beide Fäden zusammen fließen und sich in Eins verweben, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sich nicht blos ausgleicht, sondern die Barmherzigkeit den Sieg und den Ruhm wider und über die Gerechtigkeit behält für immer und ewig.“

 So war Löhe in unserm Heimatland ein Wecker des Sinns für Barmherzigkeit, die ja die Seele aller Werke der innern Mission und Diakonie genannt werden muß. Aber Löhe wollte innere Mission und Diakonie „im Sinn der lutherischen Kirche.“ Nicht als ob die Uebung der Barmherzigkeit in die Schranken der Konfession eingeengt, nur der Glaubensgenosse ihrer teilhaft werden sollte. Nein, die Barmherzigkeit ist so engherzig| nicht. Sie fragt nicht erst nach dem Glauben und Bekenntnis des Notleidenden, dem sie mit Oel und Wein des barmherzigen Samariters nahen soll, ihr genügt als einzige Legitimation das Elend und die Hilfsbedürftigkeit, wo überall sie ihr entgegentritt. Wohl aber hielt Löhe dafür, daß die, die zu Liebeswerken sich vereinen, auch Eines Geistes und einträchtig im Glauben sein sollten. Er hatte, als er den Werken der Diakonie sich zuwandte, bereits eine Geschichte als Lutheraner hinter sich; er war ein Eiferer um das Bekenntnis, um das reine Wort und Sakrament der lutherischen Kirche gewesen, und diese Vergangenheit konnte und wollte er nicht verleugnen. Darum stiftete er wie eine Gesellschaft für innere Mission im Sinn der lutherischen Kirche so auch einen lutherischen Verein für weibliche Diakonie. Aber verdient Löhe deshalb Tadel und nicht viel mehr Lob und Anerkennung dafür, daß er auch in diesem Stück mit göttlichem Eifer um die Ehre seiner, d. h. der lutherischen Kirche eiferte, daß er die Werke der inneren Mission und der Diakonie, in welchen ja freilich Wichern und Fliedner Vorgänger und Bahnbrecher gewesen waren, nicht den Unierten als ausschließliche Domäne überlassen wollte, daß er auch der lutherischen Kirche, der ihre Gegner so gerne tote Orthodoxie oder doch einseitiges Interesse an der Lehre und Lehrstreitigkeiten zum Vorwurf machen, die Herrlichkeit und den Segen des neubelebten altkirchlichen Diakonissentums und die Teilnahme an jener gesammten Liebesarbeit wünschte, die der Ruhm und der Preis des Jahrhunderts, sein Beweis des Glaubens und die – für die Welt wenigstens – überzeugendste Apologie des Christentums in unsern Tagen ist? Löhe hat sich selbst und zwar noch in seinen letzten Jahren über seine Stellung zu Wicherns und Fliedners Unternehmungen ausgesprochen. „Ich gestehe es gerade heraus – sagte er – daß ich bei der Gründung der Gesellschaft für innere Mission und später des Diakonissenhauses zunächst keine andere Absicht hatte als die, mich für meine heimatlichen Gegenden in Sachen der inneren Mission und des Diakonissentums der unierten Strömung in den Weg zu legen. Habe ich etwa gedacht, Wichern oder Fliedner auszustechen? Geweiß kein Gedanke, kein Wunsch, keine Absicht. Ich verehre die Männer aufrichtigst und bewundere sie, und ihr großes, mächtiges Gelingen wird von mir weder beneidet, noch gewünscht und gesucht. Gott schenke es ihnen tausendfältig. Was ich aber wollte und noch will, ist weiter nichts als den Beweis liefern, daß der HErr auch meine der Augsburgischen Konfession, so zu sagen, angestammte Heimat und uns arme Lutheraner deshalb, daß wir das Fähnlein der ungemischten Abendmahlsgemeinschaft emporhielten, weder von der innern Mission noch| von der heiligen Diakonie des 19. Jahrhunderts ausschließe." (s. Korresp.-Blatt der Diakonissen 1868 Nr. 12.) In diesem Sinn ist die Gründung eines lutherischen Vereins für weibliche Diakonie und die Entstehung einer lutherischen Diakonissenanstalt für die protestantische Bevölkerung in Bayern diess. d. Rh. anzusehen.

 Zur Gründung einer Diakonissenanstalt kam es nämlich doch bald und zwar noch im gleichen Jahr, in welchem sich der genannte Verein gebildet hatte. Schon am 12. Oktober 1854 konnte das auf dem höchstgelegenen Punkte der unmittelbaren Nachbarschaft Dettelsaus errichtete Diakonissenhaus eingeweiht werden, und um dasselbe legte sich in reichem Kranze eine ganze Reihe von Zweiganstalten, die auch unter Löhes Nachfolger noch beständig sich gemehrt hat.

 Die Gründung der Diakonissenanstalt war ein Unternehmen, das nur im Glauben gewagt werden konnte. Das bei Beginn des Baues vorhandene Kapital betrug 7000 Gulden, nicht Geschenke, sondern – verzinsliche Darlehen. Dennoch ist Löhes Glaube nicht zu Schanden geworden, obwohl ihm, wie er sagte, die Wasser der Sorge oft bis an den Hals gingen. Er könne, so erzählt er selbst, sich nicht der Erfahrungen eines A. H. Francke rühmen, dem so oft das Geld, das er brauchte, unverhofft und wunderbar zu Händen kam. Im Gegenteil, er habe je und je die Last der Sorgen schwer empfunden und getragen und dennoch sei ihm geholfen worden. Dazu habe er auch nicht das Talent jenes großen, reichgesegneten Bettlers besessen, von dem König Friedrich Wilhelm IV. lachenden Mundes sagte: dem weiche er aus, weil vor ihm das Kalb in der Kuh nicht sicher sei. Trotzdem aber sei ihm durch Gott so viel gelungen, daß er all den Segen Gottes nicht zählen noch wiegen könne, und er sei eben auch eines von den vielen Beispielen, an denen das Wort im Lobgesang Marien wahr geworden sei: „Die Hungrigen füllet er mit Gütern und lässet die Reichen leer.“ –

 Schon bevor die Diakonissenanstalt gegründet war, hatten sich Jungfrauen, die sich dem Diakonissendienst widmen wollten, herzugefunden, und so wurde Löhe, was er sich nicht vorgenommen hatte zu werden, ein Vater und Bildner von Diakonissen. Gott hatte ihm – ich möchte sagen – zum Einstand eine Schaar mannigfach begabter Jungfrauen gegeben, die mit Verständnis auf seine Anschauungen eingingen und sich von ihm für die Idee des altkirchlichen Diakonissentums begeistern ließen. Aber Löhe hat auch an die Erziehung und Bildung seiner Diakonissen einen Fleiß gewendet wie wohl wenig andere Vorstände von Diakonissenhäusern. Die| Fragen, die in den s. g. akademischen Stunden besprochen, die Referate, die da von einzelnen Schwestern geliefert wurden, beweisen, welche Gaben damals in der Schwesternschaft vereinigt waren, und was Löhe zu deren Entfaltung that, und daß er wenigstens von der Anfangszeit mit Recht sagen konnte: „Die theoretische Ausbildung der Diakonissen sei der leuchtende Punkt in der Thätigkeit des ganzen Hauses.“ – Mit der fortschreitenden inneren Entwicklung des Werks gieng auch das äußere Wachstum Hand in Hand. Ich muß mich freilich mit Rücksicht auf die mir zugemessene Zeit begnügen, nur die Marksteine dieser Entwicklung zu bezeichnen.
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 Ein solcher war die im Jahre 1858 erfolgte Erbauung des Betsaals, einer Kapelle für die Diakonissenanstalt, womit die später doch notwendig gewordene Sonderung der Anstalts- von der Dorfgemeinde vorbereitet und eine selbständige kirchliche Führung der ersteren ermöglicht wurde. Jetzt hat freilich der Betsaal aufgehört dem gottesdienstlichen Zweck zu dienen und steht neben der neuen stattlichen Laurentiuskirche, wie die außer gottesdienstlichen Gebrauch gesetzte Stiftshütte neben dem salomonischen Tempel stand. Im Jahre 1862 entstand das Rettungshaus, welches vor einigen Tagen bereits das 25jährige Jubiläum seines Bestehens feiern konnte, und im Jahre 1864 das neue große Blödenhaus, über dessen Eingangspforte den Eintretenden das schöne Liedeswort grüßt: „Den Blöden ist Er hold.“ Die Blödenpflege selbst war das erste Liebeswerk der Diakonissen von Neuendettelsau gewesen und ist jetzt noch, auf die Ausdehnung des Werks gesehen, einer der bedeutendsten Zweige ihrer Thätigkeit. Schon im nächsten Jahr, 1865, wurde im Schloß Polsingen am Hahnenkamm eine Zweiganstalt errichtet und die männlichen Blöden von Neuendettelsau dorthin versetzt. Im gleichen Jahr 1865 wurde in dem neuerbauten Magdalenium reuigen Gefallenen des weiblichen Geschlechts eine Zufluchtsstätte eröffnet; 1867 entstand ein Hospital für Männer, 1869 ein gleiches für Frauen. Während alle andern Anstalten die ausgewachsenen Jugendkleider längst abgelegt und ihre Zeltseile weiter gespannt haben, sind diese beiden Spitäler stabil geblieben. Die abgeschiedene ländliche Lage, für die übrigen Anstalten von unschätzbarem Wert, erwies sich für die beiden Krankenhäuser als Nachteil, zumal Löhes Wunsch und Hoffnung, sie zu Distriktsspitälern erhoben zu sehen, nicht in Erfüllung ging. Doch auch so sind diese beiden Häuser mit Kranken, Elenden und Gebrechlichen aller Art angefüllt und dienen an ihrem Teil den hohen Zwecken der Barmherzigkeit. Nimmt man zu alle dem noch die verschiedenen in Neuendettelsau blühenden Schulen, die rote, die grüne, die Industrieschule, die| mit ihrer unterrichtlichen Thätigkeit so ziemlich den ganzen Kreis weiblicher Bildung umspannen und sich bis zur Stunde ungeminderten Vertrauens erfreuen; ferner die Fürsorge für arme Wanderer, die allerdings nur in bescheidnem Maße geübte Thätigkeit an entlassenen Sträflingen etc., so wird man sagen können: es sind wenig Zweige barmherziger Liebesthätigkeit, die in Neuendettelsau nicht vertreten sind, und das Diakonissenhaus mit seinen Zweiganstalten ist annähernd geworden, was es nach Löhes kühnen Wünschen werden sollte: eine Universität der Barmherzigkeit. Doch ich breche hier ab. – Es ist heute der 3. Sonntag des Advents, da die Kirche das Evangelium von Johannes dem Täufer liest: „Da Johannes im Gefängniß die Werke Christi hörte etc.“ Noch erinnere [ich] mich lebhaft einer Predigt Löhes über diesen Text, in welcher er von d[en] Kennzeichen des Gnadenreiches und den Beweisen seines Vorhandenseins auf Erden redete. Als ein solches Kennzeichen neben andern nannte er im Anschluß an V. 5 auch die Werke der Barmherzigkeit. Die Werke Christi – sagte er – sind Wunder der Barmherzigkeit. Wunder der Barmherzigkeit geschehen ja nicht mehr, aber die Werke der Barmherzigkeit gehen in der Kirche fort. Und diese Werke der Barmherzigkeit, ja die Barmherzigkeit selbst ist etwas so Neues, vorher nicht Dagewesenes, daß sie nur mit dem König der ewigen Barmherzigkeit vom Himmel auf Erden herabgekommen sein kann; somit aber auch ein Beweis für Seine Ankunft auf Erden, für das Dasein Seines Gnadenreiches, für Seine Gegenwart in demselben ist. – Nun, möge dieses Kennzeichen des Gnadenreiches, dieser Thatbeweis des Christentums unserer Kirche niemals fehlen, möge auch, was wir heute gehört, unsere Herzen erwecken zu Fleiß und Eifer in allen guten Werken, zum Zeugnis unseres Glaubens, zum Nutz und Dienst des Nächsten und zum Preis des Königs der ewigen Barmherzigkeit.




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