Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Gustav Glück
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien
Untertitel:
aus: Jahrbuch der königlich preuszischen Kunstsammlungen, Band 25 (1904): S. 174-184 mit ein Tafel.
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag:
Drucker:
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: www.digi­zeit­schrif­ten.de, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[174]
ZU EINEM BILDE VON HIERONYMUS BOSCH IN DER FIGDORSCHEN SAMMLUNG IN WIEN
VON GUSTAV GLÜCK

Das ewig schöne Gleichnis vom verlorenen Sohne hat, seitdem es zum ersten Male in den Stoffkreis der bildenden Kunst des Nordens aufgenommen wurde, immer wieder die größten Künstler zur Darstellung angeregt, ja das Interesse an dem Gegenstande ist selbst bis in die neueste Zeit in der Malerei lebendig geblieben. Die Vorliebe der Maler gerade für diese biblische Erzählung erklärt sich wohl in der Hauptsache aus dem Umstande, daß kaum eine andere eine solche Fülle von verschiedenen zur Darstellung durch die bildende Kunst geeigneten Momenten in sich birgt. Es wäre wohl einer Betrachtung wert, wie die verschiedenen künstlerischen Individualitäten sich einem solchen Stoffe gegenüber benommen haben, wie weit sie ihn ausgenutzt und erschöpft haben. Die Hauptmotive der Erzählung sind ohne Zweifel Erniedrigung und Reue. Von diesem Inhalt ist Dürers später oft nachgeahmter Kupferstich ganz erfüllt; hier sehen wir mit den geringsten Mitteln den Augenblick des tiefsten Elends und der größten Verzweiflung festgehalten: der junge Prasser kniet in Lumpen gehüllt neben seinen Schweinen, die aus dem Troge fressen. In ähnlicher Absicht, wenn auch in mehr äußerlicher Art, hat Lucas van Leiden einen späteren Moment der Geschichte dargestellt: die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Auch hier ist noch das Gewicht auf den Ausdruck von Erniedrigung und Reue gelegt; doch ist die Wirkung schon etwas abgeschwächt durch einige episodische Figuren, die dem Vorgang beiwohnen, und durch die prächtige Landschaft, in die die Handlung versetzt wird. Bald darauf konnte Cornelis Metsys den gleichen Stoff zur Staffage einer seiner Waldlandschaften verwenden (Amsterdam, Rijksmuseum Nr. 1528). Inzwischen war aber in der Antwerpener Malerei eine völlig veränderte Auffassung des biblischen Gleichnisses aufgetaucht, die weit bis über das Ende des XVI. Jahrhunderts hinaus in der niederländischen Kunst herrschend blieb. Ein starker Zug zum Sittenbildlichen macht sich in den dreißiger Jahren des XVI. Jahrhunderts geltend und führt dazu, einen früheren, im Evangelium nur flüchtig angedeuteten Moment der Handlung herauszugreifen und das Treiben des reichen Verschwenders in den Freudenhäusern zu schildern, deren Darstellung ohne biblische Einkleidung eben kurz vorher der sogenannte

[Tafel 17]


HIERONYMUS BOSCH


DER VERLORENE SOHN


IN DER SAMMLUNG FIGDOR ZU WIEN
17



[175] Braunschweiger Monogrammist in die niederländische Kunst eingeführt, ja zu seinem Spezialfach erhoben hatte. Bezeichnende Beispiele dieser Art sind ein Bild von Jan Hemessen im Brüsseler Museum (datiert 1536), wo die Figürchen im Hintergrunde von der Hand des Braunschweiger Monogrammisten sind, ferner ein Gemälde, das von einem dem Peter Aertszen verwandten, etwa gleichzeitigen Künstler, wohl von Jan Mandyn, herrührt, in der kaiserlichen Gemäldegalerie in Wien (Nr. 773, mit Unrecht bisher Hendrik van Cleve zugeschrieben), und endlich, um auch ein viel späteres Beispiel zu nennen, ein schwaches anonymes Bildchen des Germanischen Museums in Nürnberg (Nr. 533), das etwa im letzten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts entstanden ist. Auf solchen Bildern sehen wir den verlorenen Sohn in modischer Tracht, umgeben von einem Kreise von verworfenen Mädchen, von Gaunern und Spielern; er wird von allen Seiten bestohlen und schließlich, nachdem man ihm alles genommen hat, halbnackt zur Tür hinausgeworfen. Die dem Geiste des Evangeliums viel wesentlicheren Schilderungen des verlorenen Sohnes als Schweinehirten und seiner Rückkehr zum Vater finden nun nur mehr als nebensächliche Episoden des Hintergrundes ihre bescheidene Verwendung. Es scheint als ob die Künstler zu dieser Auffassung neben der Neigung zum Sittenbildlichen auch von einer moralisierenden Tendenz gedrängt worden wären, die den ursprünglich tief religiösen Sinn des Gleichnisses verschoben und endlich ganz verwischt haben mag. Erst Rubens hat (in einem Bilde des Antwerpener Museums) wieder den verlorenen Sohn neben seinen Schweinen dargestellt, wie es über ein Jahrhundert früher Dürer in seinem Kupferstich getan hatte. Aber obwohl Rubens seinem Schweinehirten in Gesichtszügen und Haltung sehr wohl den Adel tiefer Reue zu verleihen wußte, so hat er sich doch in der Darstellung des Stalles, wo der Vorgang spielt, nicht genug tun können und dadurch die Hauptfigur zu einer episodischen gemacht, so daß Jakob Burckhardt vor dem Bilde mit Recht ausrufen konnte: »Ist es nun als Genrebild, als Tierbild, als baulicher Anblick, als Stillleben von allerlei Gerät aufzufassen? Rubens, welcher all dieser Terminologie gespottet haben würde, malte vor allem, wie ihn der Geist führte, und es wurde ein Ganzes von seltenster Art.« Jakob Jordaens finden wir auf ähnlichen Pfaden in dem stimmungsvollen Bilde der Dresdener Galerie, wo der verlorene Sohn an einem stürmischen Gewitterabend bei einem braven Bauernpaare als Schweinehirt Aufnahme findet. Die Darstellung der verschiedenen Tiere und der Gewitterstimmung ist hier dem Künstler so sehr zur Hauptsache geworden, daß er darüber vergessen hat, wie schwer es dem Beschauer fällt, diesem feist und athletisch gebildeten Jüngling den ganzen Jammer seiner Existenz zu glauben. Am weitesten aber ist in der Neigung, das Beiwerk zur Hauptsache zu machen, der Holländer Harmen Saftleven gegangen in einem kleinen Bildchen der Figdorschen Sammlung in Wien: hier sehen wir in einem Bauernhofe einen wüsten Haufen verfallenen Gerümpels und dahinter ganz im Hinter­grunde das winzige Figürchen des verlorenen Sohnes bei seinen Säuen.[1] Aus dem biblischen Gleichnis ist ein reines Stilleben geworden. Zur selben Zeit aber, da Saftleven an diesem Virtuosenstückchen malte, hat sein großer Landsmann Rembrandt, der die Bibel nicht nur von außen kannte, den alten Stoff wieder vorgenommen und über diesen Gegenstand das Tiefste gesagt, was die bildende Kunst darüber zu sagen hatte. In einer Radierung vom Jahre 1636, in mehreren Handzeichnungen und endlich in einem herrlichen Ölgemälde der Ermitage, das kurz vor seinem Tode entstanden ist, hat er die Rückkehr des verlorenen Sohnes dargestellt. Die handelnden Personen beschränkt [176] er wieder auf eine geringe Zahl und das Beiwerk auf das Allernötigste und so erreicht er mit wenigen Mitteln den Ausdruck tiefster, edelster und zugleich bitterster Reue, wie keiner vor und keiner nach ihm.

Wenn auch diese Reihe von Darstellungen des verlorenen Sohnes wirklich lückenlos wäre, was ja nicht im entferntesten unsere Absicht sein konnte, so ließe sich darin doch schwer die Bearbeitung einfügen, die meiner Meinung nach derselbe Stoff in einem sehr merkwürdigen altniederländischen Rundbilde der Sammlung des Herrn Dr. Albert Figdor in Wien[2] gefunden hat. Hier sehen wir den Gegenstand so neu, so lebendig, so eigenartig und dabei so einfach aufgefaßt, daß er uns auch in dieser Gestalt neben Dürers und Rembrandts großartigen Schöpfungen zu fesseln ver­mag. Der Künstler hat einen ganz andern Moment der Erzählung gewählt, und zwar auch einen, der tief in den Sinn des biblischen Gleichnisses eindringt: den Augenblick der Erleuchtung, die den armen Sünder überkommt. In einer verfallenen Bauernherberge, die den auf altniederländischen Bildern nicht seltenen Schild zum Schwan (in’t swaenken) führt, hatte er eine kümmerliche Unterkunft gefunden. Es ist ein ärmlicher Bau aus Holz und Lehm in stark verwahrlostem Zustande. Das Strohdach ist zerrissen, aus einem Mansardenfenster hängt ein Hemd zum Trocknen heraus, ein Fensterladen ist aus der Angel geraten. Im Türweg sieht man eine Bauernfrau, die von einem Burschen mit Liebesanträgen bedroht wird, wohl eine Andeutung des früheren Lasterlebens des verlorenen Sohnes; aus dem Fenster guckt eine alte Bäuerin; an der Ecke des Hauses verrichtet ein Bauer seine Notdurft. Vor der Herberge sieht man die aus einer Kufe fressenden Schweine, die der verlorene Sohn bisher gehütet hat. Er aber »begehrte seinen Bauch zu füllen mit Träbern, die die Säue aßen; und niemand gab sie ihm. Da schlug er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir, und bin hinfort nicht wert, daß ich dein Sohn heiße; mache mich als einen deiner Tagelöhner.« Von diesem Gedanken beseelt hat er sich nun aufgemacht und schreitet, in die Lumpen eines Bettlers gekleidet und mit allerlei wertlosen Dingen bepackt, den Hirtenstab in der Rechten und den Hut in der Linken, der Türe des Zaunes zu, die sich bald hinter ihm schließen wird. Er blickt noch einmal zurück nach der elenden Herberge, wo er gehaust hat; doch niemand gibt ihm das Abschiedsgeleite, nur ein kleines Hündchen ist ihm nachgelaufen und kläfft ihn verächtlich an.

Wer ist nun der Maler, der etwa zur selben Zeit, da Dürer dem Gegenstande in seinem Kupferstiche eine endgültige Fassung gab, noch so vollkommen unbefangen an die Darstellung des biblischen Gleichnisses herantrat und daraus ein Sittenbild, ein Volksstück schuf, wie es ihm vor Augen stand, wenn er die Bibel für sich las und ihre Gestalten in das Gewand seiner Zeitgenossen kleidete? Ich glaube, die Antwort auf diese Frage wird Kennern der altniederländischen Malerei kaum zweifelhaft sein: der Meister unseres Bildes ist kein anderer als Hieronymus Bosch. Zu keinem andern passen so gut der zarte, mit trockenem, spitzem Pinsel bewirkte Auftrag der lichten, fein zusammengestimmten Farben und die schöne, weite, in helles Tageslicht getauchte Hügellandschaft, deren Augenpunkt sehr hoch liegt. Auch dem Rundbilde [177] begegnen wir bei Bosch nicht selten; man denke an die Dornenkrönungen im Eskorial und in Valencia, an einzelne Darstellungen auf der Tafel mit den Todsünden im Es­korial, an die Steinoperation im Prado; es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Künstler auf diese Form, die zu seiner Zeit in den Niederlanden noch ziemlich selten war, durch

Peter Brueghel d. Ä.
Die Unredlichkeit der Welt
lm Museum zu Neapel


seine Beschäftigung mit Entwürfen für Glasmalerei gekommen ist, von denen uns die Urkunden berichten[3]. Daß ihm das Rundbild nichts Neues war, beweist die überaus geschickte Art, wie die Figur des verlorenen Sohnes in den Raum komponiert ist. Sehr bezeichnend für Bosch ist die Art des Schreitens; die Bewegung der Figuren hat in seinen Bildern immer etwas eigentümlich Ungeschicktes, die einzelnen Gestalten stehen entweder fast in antik statuarischer Haltung mit regelrechtem Stand- und Spielbein, [178] oder sie schleichen gespenstisch, als ob sie sich scheuten, ordentlich aufzutreten. So schleicht auch unser verlorener Sohn mehr als er schreitet, ganz ähnlich wie der hl. Jakobus auf der Außenseite des Jüngsten Gerichts der Wiener Akademie, das ich heute als eine Kopie nach einem Werke Hieronymus Boschs ansehen möchte, oder wie der Lastträger auf der Invidia der Sieben Todsünden, der selbst unter dem schweren Gewichte, das seinen Rücken krümmt, von diesem Zehengang nicht abläßt. Aber auch andere Einzelheiten der Zeichnung weisen bei unserem Bilde mit voller Sicherheit auf Hieronymus Bosch hin: den mageren, bartlosen Kopf mit den kleinen, runden, lebhaften Augen, dem silbergrauen, spärlichen Haupthaar und den stark betonten Halssehnen finden wir wieder bei dem hl. Hieronymus des Wiener Triptychons (Nr. 651) und mehrmals auf der Anbetung der Könige im Prado, die schwächliche Hand mit dem schmalen Gelenk und der breiten Handwurzel begegnet uns auf allen seinen Bildern, das seltsame Kopftuch sehen wir genau so verwendet auf der von Peter van der Heyden (P. a Myricenis) gestochenen Allegorie des Haifisches. Selbst die kleinen Scherze, die unser Meister als eine Art märchenhaften Aufputzes seinen Bildern beizugeben suchte, finden sich auf unserem Bilde wieder: der Schusterkneip, der, als Agraffe gedacht, den Hut durchbohrt, entspricht ähnlichem Schmuck (Pfeil und Messer), womit der Hut eines alten Schergen auf der Dornenkrönung und der eines Hirten auf der Anbetung der Könige verziert sind; das Haar, das durch ein Loch des Kopftuches hervordringt, hat seine Analogie in dem Schopfe, der aus der zerrissenen runden Mütze des Schergen links auf der Dornenkrönung emporsteht. Die kleinen Figuren des Hintergrundes, der Holz- und Lehmbau, die vielen in der Land­schaft zerstreuten, mit seltsamer Naivetät aufgefaßten Tiere, darunter ein Specht, der auf dem untern Rande eines Astes hinaufkriecht (wie in dem Flügelbilde mit dem hl. Ägidius auf dem Triptychon der Wiener Galerie Nr. 651), der belaubte Baum mit einzelnen verdorrten Zweigen, der tüpfelnde Baumschlag — alles dies findet sich ganz ähnlich wieder auf verschiedenen authentischen Schöpfungen des Meisters, wie besonders auf der Anbetung der hl. drei Könige im Prado und der Tischplatte mit den Sieben Todsünden im Eskorial.

Solche Übereinstimmungen scheinen mir mit Sicherheit zu beweisen, daß Hiero­nymus Bosch der Maler unseres Bildes ist. Da ich aber zum Vergleiche eine Anzahl von Gemälden herangezogen habe, die von einem ernsten Forscher wie Hermann Dollmayr[4] im Gegensatze zu Carl Justis auf gründlichster Kenntnis der Originale beruhendem Urteile[5] dem Meister abgesprochen worden sind, so möchte ich nicht versäumen, in Kürze zu begründen, warum ich glaubte, bei Justis Anschauungen verbleiben zu müssen. Dollmayr hat eine Gruppe von Gemälden, darunter solche, die Justi als Hauptwerke des Meisters anerkannt hatte, aus der Liste seiner Werke zu streichen und einem Monogrammisten zuzuschreiben versucht. Den Ausgangspunkt [179] für Dollmayrs Annahme bildete das Triptychon mit dem Jüngsten Gerichte, dem Paradiese und der Hölle in der Akademie der bildenden Künste zu Wien, ein Werk, das lange Zeit als eines der wenigen echten Stücke Hieronymus Boschs außerhalb Spaniens gegolten hatte. Ich selbst hatte bemerkt, daß die Malweise dieses Gemäldes nicht zu der Hieronymus Boschs stimme,[6] und die Frage aufgeworfen, ob es nicht auf Grund des auf einer Messerklinge angebrachten Buchstaben dem von Van Mander als Nachfolger Boschs erwähnten Jan Mandyn zugeschrieben werden könnte. Den Vergleich mit dem einzigen bekannten bezeichneten Werke Mandyns in der Corsinischen Sammlung in Florenz hat hierauf Dollmayr gezogen und dabei meine Vermutung nicht bestätigt gefunden: das Corsinische Bild, eine Versuchung des hl. Antonius, zeigt einen viel späteren, schon stark aufgelösten Stil und auch die Werke, die Dollmayr um dieses beglaubigte gruppierte, sind viel weiter von Boschs Stile entfernt als das Jüngste Gericht der Wiener Akademie. Dollmayr glaubte nun in dem letztgenannten Werke die Hand eines andern Nachfolgers Hieronymus Boschs zu erkennen, den er als Monogrammisten bezeichnete und dem er außer dem Jüngsten Gerichte die folgenden Werke zuschrieb: das Triptychon mit der Dornenkrönung im Museum von Valencia, wo das gleiche Monogramm ebenfalls auf einem Messer angebracht erscheint, die Tischplatte mit den Sieben Todsünden, den Heuwagen und die Weltlust im Eskorial, die Steinoperation im Prado (Nr. 1860) und endlich eine Reihe von Bildern von geringerer Bedeutung, die ich hier außer acht lassen möchte.

Diesem Verdammungsurteil, das nur auf Grund von Photographien gefällt wurde, steht nun die schwerwiegende Ansicht eines Kenners wie Carl Justi entgegen, der nach gründlicher Autopsie der Originale alle die fünf genannten in Spanien befindlichen Bilder als echte Werke Boschs anerkannt hat. Ich glaube auch, daß man selbst nach dem Studium der Photographien allein sich Justis Urteil anschließen muß: diese fünf Gemälde bilden allerdings vielleicht eine zeitlich zusammengehörige Gruppe, die aber keineswegs aus dem Rahmen von Hieronymus Boschs Stile herausfällt, sie stimmen in vielen Einzelheiten und vor allem in der Gesamtauffassung mit den beglaubigten Werken des Künstlers überein. Ist es wahrscheinlich anzunehmen, einer seiner Nachfolger hatte eine solche unerschöpfliche Erfindungsgabe, so viel Kompositionstalent, so viel Humor besessen, wie sie sich in diesen Werken zeigen? Er müßte ja geradezu in diesen Eigenschaften den Meister selbst übertroffen haben. Auch können wir schon aus dem Grunde nicht wagen, diese Gruppe von Bildern aus der Liste von Boschs Werken zu streichen, weil wir den künstlerischen Entwicklungsgang des Meisters, der, nach seinem gestochenen Bildnisse zu schließen, ein hohes Alter erreicht haben muß, heute noch keineswegs klar überblicken können.

Mit dem Jüngsten Gerichte der Wiener Akademie hat es nun aber eine andere Bewandtnis. Es steht sowohl der eben besprochenen Gruppe spanischer Bilder als auch andern beglaubigten Werken Boschs ganz außerordentlich nahe, so daß man nach der Photographie fast an eine Arbeit Hieronymus Boschs selbst denken könnte; doch vor dem Originale sieht man an der schweren, trüben Färbung, die schon an die spätere Antwerpener Schule erinnert, daß von der Hand Boschs hier nicht die Rede sein kann. Da aber die Einzelheiten der Zeichnung völlig zu dessen beglaubigten Werken stimmen, so ist der Schluß erlaubt, daß hier eine Kopie nach einem Gemälde des

[180]

Peter Brueghel d. Ä.
Das Gleichnis von den Blinden
Im Museum zu Neapel


[181] Meisters vorliegt, und zwar eine sehr getreue. Henri Hymans[7] hat nun die zu wenig beachtete Vermutung aufgestellt, unser Triptychon könnte mit einem von Philipp dem Schönen im Jahre 1504 bei Meister Bosch bestellten großen Altarwerke[8] identisch sein. Die Gegenstände des Wiener Triptychons, das Jüngste Gericht, das Paradies und die Hölle, stimmen mit denen des urkundlich erwähnten Werkes in der Tat überein, nicht aber die Masse: der Wiener Flügelaltar ist beträchtlich kleiner als der im Auftrage Philipps des Schönen gemalte, für den die ungewöhnlich hohe Summe von 36 Pfund gezahlt wurde. Daraus möchte ich schließen, daß wir in dem Wiener Jüngsten Gerichte eine kleinere getreue Kopie nach dem heute verschollenen großen Altarwerke des Meisters besitzen. Diese Annahme wird durch die Betrachtung der Außenseiten der Flügel bestätigt, die in Grisaille die Gestalten des hl. Bavo und des hl. Jakobus von Campostella und darunter in gotischer Umrahmung je ein leeres Wappenschild enthalten. Zu welchem Besteller könnten die beiden Heiligen, der eine der Schutzpatron der Niederlande, der andere der Schutzpatron Spaniens, besser passen als zu Philipp dem Schönen, der in den Niederlanden seine ganze Jugend verbracht hatte und als König von Spanien fern von seiner Heimat ein frühes Ende finden sollte? Der Umstand, daß die beiden Wappenschilder leer sind, deutet wiederum darauf hin, daß wir hier eine Kopie vor uns haben; denn auf dem Originale werden die Wappen, wohl die von Burgund und von Kastilien, kaum gefehlt haben.

Man stelle sich nun nach unserer Kopie das wohl für immer verlorene Altarwerk, das vielleicht Boschs umfangreichste Arbeit gewesen ist, vor und denke sich besonders die prachtige Wirkung der echt Boschischen Heiligengestalten, die auf dem Originale in Lebensgröße dargestellt gewesen sein müssen, und man wird von der Richtigkeit unserer Annahme überzeugt sein, daß kein anderer als Bosch selbst der Erfinder dieser Kompositionen gewesen sein kann. Damit verschwindet die Gestalt des Monogrammisten , die Dollmayr geschaffen hat, wohl für immer aus der Kunstgeschichte, und die Bezeichnung , die sich auf den Messern des Wiener Jüng­sten Gerichts und des Triptychons in Valencia gefunden hat, ist wohl in der Tat, wie schon Th. von Frimmel[9] bemerkt hat, nichts anderes als die Marke eines Waffen- oder richtiger eines Messerschmiedes[10]. Die Stadt Herzogenbusch, wo Bosch lebte und von der er seinen Namen hat, war nach Guicciardinis Angabe berühmt durch ihre Messerfabrikation; es würde gerade unserm Meister ähnlich sehen, wenn er Messer mit der Marke eines Schmiedes seiner Vaterstadt als Hausrat der Hölle und als Waffe eines Häschers Christi verwendet hätte. Das würde zu seinen satirischen Neigungen sehr wohl passen.

[182]

Peter van der Heyden
Das Gleichnis von den Blinden
Kupferstich nach einem Gemälde von Hieronymus Bosch


Wenn wir auch hier eine Anzahl von Bildern Hieronymus Bosch wieder zurückgegeben haben, so bleibt doch noch eine große Menge von Gemälden übrig, die in alter und neuer Zeit dem Meister mit Unrecht zugeschrieben worden sind. Zu diesen Nachahmungen, vor denen schon im XVI. Jahrhundert Felipe de Guevara gewarnt hat und die zum großen Teil in Dollmayrs Schrift angeführt werden, möchte ich aber keineswegs jene köstliche Geburt Christi im Kölner Museum zählen, die Justi mit gutem Recht dem Meister zurückgegeben hat; sie gehört in ihrer großen Einfachheit zu den feinsten Kompositionen, die Bosch geschaffen hat.

Heute kann man nicht mehr sagen, daß die echten Werke Hieronymus Boschs außerhalb Spaniens so überaus selten sind, wie man es noch vor wenigen Jahren behaupten konnte. Eine Reihe von hervorragenden Gemälden des Meisters ist erst in der letzten Zeit bekannt geworden; dazu gehören die ebengenannte Geburt Christi im Kölner Museum, die beiden bezeichneten Triptychen der Wiener Galerie, die Dollmayr publiziert hat, ein Ecce Homo in kleinen Figuren, früher bei L. Maeterlinck in Gent, jetzt bei Geheimrat von Kaufmann in Berlin, eine Anbetung der Könige in der nachgelassenen Sammlung des verstorbenen Geheimrats Lippmann ebenda, endlich [183] die Kreuztragung im Genter Museum[11] und Christus vor Pilatus im Museum zu Princeton in den Vereinigten Staaten[12], zwei Gemälde, die in der Charakteristik der Köpfe weit über die Grenzen hinausgehen, an die sich sonst der Meister ge­halten hat, und schon an den Einfluß von Lionardos Karikaturen denken lassen, trotzdem aber wohl als Originale angesehen werden müssen. Diesen Werken schließt sich nun das Rundbild der Figdorschen Sammlung würdig an, ja es ist vielleicht kunstgeschichtlich noch von höherem Interesse. Denn es zeigt uns am deutlichsten den Weg, den Bosch gegangen ist, um von biblischen Vorstellungen aus zum reinen Sittenbilde zu gelangen, und auf dem er zum Vorläufer Peter Brueghels des Älteren geworden ist.

Als biblisches Gleichnis steht der verlorene Sohn nicht vereinzelt unter Boschs Werken da; die alten Inventare der Sammlung König Philipps II. kannten ein zweites Gleichnis von seiner Hand, das von den Blinden[13], das uns heute nur mehr in dem Kupferstiche Peter van der Heydens erhalten ist. Auch hier ist die Auffassung völlig die gleiche wie auf unserem Bilde: aus der Bibelstelle gestaltet der Meister, ohne von ihrem tiefsten Sinn abzuweichen, ein wahres Volksstück, das allen seinen Zeitgenossen verständlich sein mußte. Von solchen Gleichnissen, also noch von biblischen Vor­stellungen, aus kam Bosch auf jene reinen Sittenbilder, die heute wohl alle verschollen sind: die Blinden auf der Saujagd, die Disputation des Mönchs mit den Ketzern, der Tanz nach der Weise von Flandern, die Hochzeit, Fasten und Fasching, das Straf­gericht, die Hexe, der Hexenmeister, der Mann auf dem Eise[14], der Hirt vor seinen Schafen in einer Landschaft[15] u. s. f. Erhalten ist uns nur mehr die sittenbildliche Illustration eines Sprichworts, jene von Carl Justi entdeckte Steinoperation im Prado (Nr. 1860), eine Darstellung, deren Beliebtheit über Boschs Tod hinaus zahlreiche spätere veränderte Wiederholungen (z. B. im Reichsmuseum zu Amsterdam, bei Dr. Figdor in Wien und, nach H. Hymans, im Museum zu Saint-Omer) beweisen.

Gerade von Boschs Gleichnissen führt nun der Weg zu den Schöpfungen seines großen Landsmanns Peter Brueghel des Älteren. In dem herrlichen Gemälde des Neapeler Museums hat auch dieser das Gleichnis von den Blinden behandelt. Schon Cornelis Metsys war, in einer seiner kleinen Radierungen, auf den Gedanken gekommen, aus den zwei Blinden, die Bosch getreu der Bibel folgend dargestellt hatte, einen Gänsemarsch von vier Blinden zu machen. Bei Brueghel sind es deren sechs. Allein obwohl Cornelis Metsys einer Gruppe von Künstlern angehört, die auf Brueghel nicht ohne Einwirkung geblieben sind, jener Gruppe, zu der auch der sogenannte Braunschweiger Monogrammist zählt, den ich für eine Person mit dem von Van Mander erwähnten Jan de Hollander halten möchte, so kommt doch auch in diesem Falle der Einfluß des geringen Cornelis Metsys auf den großen Brueghel nur als ein ganz nebensächliches Moment in Betracht; denn dieser Einfluß beruht auf nichts weiter als auf dem Einfalle, aus den zwei Blinden der Bibel eine ganze Kette von solchen zu machen. In der künstlerischen Auffassung, in der Neigung, aus der biblischen [184] Vorstellung ein Sittenbild zu gestalten, in der malerisch vollendeten Darstellung berührt sich hier Brueghel viel mehr mit Hieronymus Bosch, dessen Nachfolger er ist, ohne ein Nachahmer zu sein.

Aber auch der verlorene Sohn der Figdorschen Sammlung deutet in mancher Beziehung auf Brueghel hin. Am auffallendsten ist die Ähnlichkeit in der Komposition: gerade in der Kunst, eine einzelne Hauptfigur in die Landschaft zu setzen und sie mit ihr zu einem einheitlichen Ganzen zu vereinigen, wetteifert Brueghel oft sehr glücklich mit Bosch. Hervorragende Beispiele dieser Art sind der »Vogeldieb« der Wiener Galerie und die Allegorie von der Unredlichkeit der Welt im Museum zu Neapel. Die Verwandtschaft des letztgenannten Gemäldes mit unserm Bilde, mit dem es überdies die runde Form gemein hat, ist besonders augenfällig. Wie die großartige Figur des still und resigniert dahinwandelnden Eremiten, dem noch im letzten Augenblick vor seiner Einkehr in die Wildnis die böse Welt den Beutel mit seinen letzten Ersparnissen abzwickt, von der weiten ebenen Landschaft sich abhebt, diese feine malerische Wirkung ist in der auf echt holländischen Boden versetzten, traurigen Ge­stalt des verlorenen Sohnes, dem seinerseits ein kläffendes Hündchen das Geleite gibt, mindestens vorgeahnt. Diese Vorahnung ist kein Zufall; denn beide großen Künstler stammen aus demselben Ländchen Nordbrabant, das heute zu Holland gehört, und wenn auch bei ihnen an ein Verhältnis von Lehrer und Schüler aus chronologischen Gründen nicht zu denken ist, so ist es doch ohne weiteres klar, daß der Jüngere die Werke des Älteren auf das Genaueste gekannt und aufs Emsigste studiert hat. Daß sich aber Hieronymus Bosch mehr als ein halbes Jahrhundert vor Brueghel schon an solche malerische Probleme gewagt, ja sie sogar in seiner ihm allein eigentümlichen Weise gelöst hat, beweist, wie wahr es ist, was Carl Justi von ihm gesagt hat: »daß Bosch der Träumer ein Maler ist, und zwar sehr ein Maler«.


  1. Eine Abbildung bei Th. von Frimmel, Kleine Galeriestudien N. F., IV. Lief., S. 27.
  2. Auf Eichenholz, von achteckigem Format, die Darstellung selbst rund, Durchmesser 63 cm. Erworben vor einigen Jahren im Pariser Kunsthandel.
  3. Vgl. Al. Pinchart, Archives des Arts, Sciences et Lettres I, S. 273.
  4. Hieronymus Bosch und die Darstellung der vier letzten Dinge in der niederländischen Malerei des XV. und XVI. Jahrhunderts, Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Bd. XIX, 1898, eine Studie, deren bleibender Wert hauptsächlich in der weitgreifenden, kulturhistorischen Untersuchung über den Ursprung der Vorstellungen besteht, die den niederländischen Höllenstücken zugrunde liegen.
  5. Die Werke des Hieronymus Bosch in Spanien, Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen Bd. X, 1889.
  6. Kunstchronik 1896, S. 196.
  7. Le Livre des Peintres de Carel van Mander I, S. 174.
  8. Die Urkunde darüber hat Alexandre Pinchart in den Archiven von Lille entdeckt und in seinen »Archives des Arts, Sciences et Lettres«, I, S. 268 veröffentlicht, sie lautet folgendermaßen:
    »A Jéronimus Van Aeken, dit Bosch, paintre, demourant au Bois-le-Duc, la somme de XXXVI livres, à bon compte sur ce qu’il pourroit estre deu sur un grant tableau de paincture, de IX pieds de hault et XI pietz de long, où doit estre le Jugement de Dieu, assavoir paradis et enfer, que Monseigneur lui avoit ordonné faire pour son très-noble plaisir.«
  9. Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen I, S. 461.
  10. Es ist bezeichnend, daß auch auf der der Schule Cranachs angehörenden Kopie des Jüngsten Gerichts im Berliner Museum (Nr. 563) das Monogramm auf der Messerklinge beibehalten erscheint. Dieser Kopist des XVI. Jahrhunderts hat es also auch nicht als Künstlersignatur gedeutet.
  11. Publiziert in Max J. Friedländers Meisterwerken der niederländischen Malerei auf der Ausstellung zu Brügge 1902, Taf. 84.
  12. Veröffentlicht von Allan Marquand im Princeton University Bulletin XIV, Nr. 2 (1903).
  13. C. Justi a. a. O. S. 129, 141, 144.
  14. C. Justi a. a. O. S. 129, 141 ff.
  15. »Eenen herder, voor zyn schaepen, lantschap, van Bosch« wird erwähnt in dem Nachlaß eines Antwerpener Kunsthändlers (1642), vgl. Van den Branden, Antwerpsch Archieven­blad XXI, p. 339.