Page:Schlick - Gesammelte Aufsätze (1926 - 1936), 1938.djvu/36

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Gorgias, der große Nihilist, hat behauptet, daß wir, selbst wenn es Erkenntnis gäbe, sie doch nicht mitteilen könnten. Er hat unrecht. Denn es liegt im Wesen der Erkenntnis, daß sie mitteilbar sein muß. Mitteilbar ist, was auf irgendeine Weise formuliert, das heißt, durch irgendwelche Symbole ausgedrückt werden kann, seien es Worte der Sprache oder sonstige Zeichen. Jede Erkenntnis besteht nun aber darin, daß ein Gegenstand, nämlich der zu erkennende, zurückgeführt wird auf andere Gegenstände, nämlich auf diejenigen, durch welche er erkannt wird; und dies findet darin seinen Ausdruck, daß der erkannte Gegenstand mit Hilfe derselben Begriffe bezeichnet wird, welche schon jenen anderen Gegenständen zugeordnet waren. Es ist also fur das Wesen der Erkenntnis gerade diese symbolische Beziehung des Bezeichnens, der Zuordnung, charakteristisch, welche zugleich immer schon Ausdruck, symbolische Darstellung, ist. Erkenntnis ist also das Mitteilbare Κατ' έξοχήν, jede Erkenntnis ist mitteilbar und alles Mitteilbare ist Erkenntnis.

Was ist nicht mitteilbar? Wenn ich eine rote Fläche anschaue, so kann ich niemandem sagen, wie das Erlebnis des Rot beschaffen ist. Der Blindgeborene kann durch keine Beschreibung eine Vorstellung von dem Inhalt eines Farbenerlebnisses bekommen. Wer nie Lust gefühlt hätte, würde durch keine Erkenntnis davon unterrichtet werden konnen, was man erlebt, wenn man Lust erlebt. Und wer es einmal erlebt und dann vergessen hätte und nie wieder zu fühlen imstande ware, dem konnten es auch etwaige eigene Aufzeichnungen niemals sagen. Und das Gleiche gilt, wie jeder sofort zugibt, von allen Qualitäten, die als Inhalte des Bewußtseinsstromes auftreten. Sie werden nur durch unmittelbares Erleben bekannt. Wir kennen sie schlechthin, und der Inhalt des Kennens kann durch keine Erkenntnis vermittelt werden; er ist nicht ausdrückbar, nicht mitteilbar. Der Gegensatz von Kennen und Erkennen, auf den ich mit so großem Nachdruck hinzuweisen pflege, deckt sich mit dem Gegensatz des Nichtmitteilbaren und des Mitteilbaren.

Es wird allgemein zugestanden, daß die Frage, ob ein Rot, das ich erlebe

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