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Thirty-Five Years of Luther Research

es ueberhaupt gewollt haette. Aber er konnte es auch nicht einmal wollen, oder er haette anders sein muessen seinem ganzen Wesen, Anlage und Temperament nach, als er war und sein wollte. Und er haette dann seinen Schriften geradezu ihren eigenartigen Charakter nehmen muessen, auf dem ihre grosse Wirkung bei dem Volke beruhte. Zwar klar und uebersichtlich angelegt sind alle seine Schriften, aber das Eifern um die Sache durchbricht sehr haeufig die Form und stoert die Anlage. In breitspuriger Gedankenentwicklung, die gern alles mitnimmt, was gerade am Wege Hegt, wenn es der Sache dienen kann, fliesst oft der Strom der Rede dahin; alles was er auf dem Herzen hat muss heraus; in seinem Eifer tut er sich oft kein Genuege, legt sich kein Mass auf und bringt so dieselbe Sache, die abgetan schien, nicht selten mehrfach wieder. Oder er reiht, besonders in den auf die Massen berechneten Streit- und Flugschriften in bequemer und lockerer Weise der Gedankenentwicklung Abschnitt an Abschnitt, und zwar in der aller Kunst und Anordnung baren Form blosser Aufzaehlung: Zum ersten, Zum zweiten etc. So erhalten manche seiner Schriften nicht selten etwas Formloses fuer uns, die wir heute eine knappere und mehr gedraengte Darstellung fordern.

Aber mil diesen Maengeln der Form, die uebrigens nicht in allen Schriften gleichmaessig hervortreten, haengt aufs engste zusammen der eigenartige Vorzug, der Reiz, das Packende Fortreissende der Luther'schen Schriften. Nicht bloss in der frischen, lebendigen, anschaulichen Sprache, von der oben die Rede war, liegt dies, sondern auch in dem Lebendigen, der frischen Unmittelbarkeit seines Stils und seiner Darstellung ueberhaupt. Luther schreibt und redet, und beides ist bei ihm eins, immer frisch heraus aus dem jeweiligen Eindruck, der unmittelbaren Stimmung des Augenblicks. Auch beim Schreiben sind ihm die, fuer die er schreibt, an und gegen die er seine Worte richtet, moegen es seine Widersacher oder Freunde, moegen es Leute aus dem Volk oder Fuersten und Adel sein, immer vor Augen, immer ist ihm alles und jedes gegenstaendlich, steht leibhaftig vor ihm, wie bei der lebendigen Rede. Er redet die Personen und Dinge, von denen er spricht, an, plaudert, verhandelt, streitet, spielt mit ihnen, als wenn sie gegenwaertig vor ihm staenden. Dies giebt seiner Darstellung oft etwas Drama-