Page:Schlick - Gesammelte Aufsätze (1926 - 1936), 1938.djvu/39

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die logische Lehre von der „impliziten Definition“. Denn das Wesen dieser Art von Definition besteht darin, daß sie Begriffe festlegt, ohne im geringsten auf etwas Inhaltliches hinzuweisen, ohne auf irgendwelche qualitativen Merkmale zurückgreifen zu müssen. Diese Lehre, welche hier nicht näher dargestellt werden kann[1], bestimmt die Begriffe dadurch, daß sie rein formale, jeglichen Inhaltes entkleidete Beziehungen zwischen ihnen aufstellt. Das Wesen der implizit definierten Begriffe besteht darin, diesen rein formalen Beziehungen zu genügen. (Z.B. die Beziehung „zwischen“, die in der impliziten Definition der Grundbegriffe der abstrakten Geometrie auftritt, enthält in keiner Weise irgend etwas von dem anschaulichen Sinn, den wir mit diesem Worte verbinden, sondern bedeutet nur eine Beziehung überhaupt, ohne über ihr „Wesen“, über ihre „Natur“ irgend etwas vorauszusetzen; es wird nur erfordert, daß das Wort immer eine und dieselbe Beziehung bezeichne.) Die implizite Definition stellt aber die einzige Möglichkeit dar, zu gänzlich inhaltleeren Begriffen zu gelangen (denn sowie ich die Begriffe nicht, wie die implizite Definition es tut, durch ihre gegenseitigen Relationen definieren wollte, konnte ich sie nur durch Zuordnung zu etwas Wirklichem festlegen, und dadurch wäre ihnen ein Sachinhalt beigelegt), folglich können wir aus ihr die Lösung unseres Problems entnehmen und dürfen sagen: da nichts Inhaltliches aus der ungeheuren Mannigfaltigkeit unserer Erlebnisse zum Gegenstand einer Aussage gemacht werden kann, so läßt sich mit irgendwelchen Aussagen kein anderer Sinn verbinden als der, daß sie rein formale Beziehungen ausdrücken. Und was dabei unter einer „formalen Beziehung“ oder „Eigenschaft“ zu verstehen ist, muß der Lehre von der impliziten Definition entnommen werden.

Diese Bestimmung ist schlechthin fundamental und von unabsehbarer Tragweite für die ganze Philosophie Ihre Richtigkeit muß jeder zugeben, der sich von der unbezweifelbaren Tatsache überzeugt, daß alles Qualitative und Inhaltliche an unseren Erlebnissen ewig privatim bleiben muß und auf keine Weise mehreren Individuen gemeinsam bekannt zu werden vermag. Es ist, so paradox es klingen mag, buchstäblich wahr, daß alle unsere Aussagen von den gewöhnlichsten des täglichen Lebens bis zu den kompliziertesten der Wissenschaft, immer nur formale Bezie-

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  1. 1) Vgl. meine Allgemeine Erkenntnislehre. 2. Aufl. 1925. § 7.