Page:Schlick - Gesammelte Aufsätze (1926 - 1936), 1938.djvu/47

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Sätze, als Gesamtheit der unsichersten Hypothesen aufzufassen — aber es kann ja gar kein Zweifel sein, daß kein Anhänger der Metaphysik ihr jemals eine so lächerliche Rolle zuweisen wollte. Es ergibt sich mithin, daß die Lehre von der induktiven Metaphysik notwendig zu einem Metaphysikbegriff gelangt, der sie zu einem Zerrbild macht und dem wahren Sinne, den man mit diesem Worte stets verbunden hat, nicht gerecht wird.

Welches ist dieser wahre Sinn? Nur aus der Geschichte der Philosophie kann er abgelesen werden, und sie zeigt uns, wie ich glaube, mit größter Deutlichkeit, daß der Name Metaphysik nicht einfach für die Erkenntnis des Transzendenten schlechtweg gebraucht wurde, sondern nur für die sogenannte „intuitive Erkenntnis“ des Transzendenten. Was darunter zu verstehen sei, haben uns neuere Metaphysiker, in erster Linie Schopenhauer und Bergson mit schärfster Eindringlichkeit gesagt, aber ein historischer Uberblick lehrt, daß auch frühere Denker, ohne es ausdrücklich zu formulieren, doch genau denselben Begriff der metaphysischen Erkenntnis gehabt haben. Wenn Schopenhauer sagt, daß alle Einzelwissenschaften die Dinge gleichsam nur von außen betrachten und beschreiben, wie jemand, der um ein Gebäude herumgeht und seine Fassaden von allen Seiten skizziert, während die Metaphysik in das Gebäude selbst einträte, um es von innen zu betrachten; wenn Bergson den Satz aufstellt, daß die Wissenschaften die Objekte nur durch Symbole räumlicher Art nachzeichnen, wahrend Philosophieren (das heißt Metaphysik treiben) darin bestehe, sich durch einen Akt der Intuition in das Objekt selbst zu versetzen; wenn Lotze ausruft: „Wir wollen den Weltlauf nicht nur berechenen, sondern auch verstehen"; wenn Taylor formuliert: „Science describes, philosophy explains“: so soll in alien diesen Aussagen für die Metaphysik eine besondere Erkenntnisart in Anspruch genommen werden, die sich radikal unterscheidet von jener der Wissenschaften und des Alltages, die wir oben in den ersten Zeilen dieses Aufsatzes zu kennzeichnen suchten. Diese besondere Erkenntnisart der Metaphysik ist die Intuition. Diese Intuition ist nicht etwa jene ahnende Vorwegnahme eines Erkenntnisresultates, die bei allen großen Entdeckungen der gedanklichen Ableitung vorherzugehen pflegt, nicht jenes Erraten verborgener Zusammenhänge, das nur dem genialen Forscher gelingt, und mit Recht „intuitive Erkenntnis“ im empirischen Sinne heißen darf,