Page:Schlick - Gesammelte Aufsätze (1926 - 1936), 1938.djvu/48

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sondern sie ist nichts anderes als das schlichte Vorhandensein eines Bewußtseinsinhaltes, ein bloßes Gegenwärtigsein, das vor aller geistigen Verarbeitung, vor aller Erkenntnis liegt, kurz sie ist einfach das, was wir oben Erleben nannten. Diese metaphysische Intuition soll dort vorliegen, wo das Bewußtsein mit dem zu erkennenden Gegenstand eins wird, sich mit ihm identifiziert, verschmilzt, oder, wie der bildliche Ausdruck lautet, in sein Inneres eindringt. Wir sehen also: der Metaphysiker will die Dinge gar nicht erkennen, sondern er will sie erleben. Daß er dies Erleben mit dem Worte Erkennen bezeichnet, steht ihm schließlich frei, aber das bedeutet natürlich eine Äquivokation. Dieser Äquivokation fällt er auch zum Opfer, indem er glaubt, daß beide irgend etwas gemein hätten, z. B. ein gemeinsames Ziel. Daß dies nicht der Fall ist, habe ich oben angedeutet und an anderem Orte[1] ausführlich dargetan.

Nun heißt etwas erleben, es als Bewußtseinsinhalt haben. Der Metaphysiker will also die Gegenstände dadurch erkennen, daß er sie zu Inhalten seines Bewußtseins macht. Aus diesem Grunde ist die am meisten typische und verbreitete Art der Metaphysik der Idealismus in seinen verschiedenen Formen, welcher behauptet, die transzendente Wirklichkeit sei irgendwie von der Art der Idee, der Vorstellung, als des typischen Bewußtseinsinhaltes. So erkennen wir bei Platon das Transzendente, indem wir die Idee schauen, das heißt teilweise in unser Bewußtsein aufnehmen; so stellt sich der Voluntarismus (etwa Schopenhauers) vor, daß das Erlebnis, welches wir haben würden, wenn ein transzendentes Ding in unsere Seele einträte, stets ein Willenserlebnis sein müsse; in derselben Weise ist auch Bergsons élan vital aufzufassen; so ist auch Spinozas metaphysische Substanz dasjenige, „quod per se concipitur“ usw. Aber auch der Materialismus, dessen Grundgedanke auf den ersten Blick in der entgegengesetzten Richtung zu liegen scheint, geht in Wahrheit denselben Weg. Denn bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß die Materie, welche er zur metaphysischen Substanz erhebt, von ihm durchaus sinnlich vorstellbar gedacht wird; ihm ist der Inhalt des Begriffs Materie ein Letztes, unmittelbar Gegebenes. Seiner Anschauung liegt der dunkle Glaube zugrunde, daß er durch das Erlebnis, das er beim Anschauen oder Betasten.

  1. Vgl. auch meine ,,Allgemeine Erkenntnislehre", § 12 der 2. Auflage.