Page:Schlick - Gesammelte Aufsätze (1926 - 1936), 1938.djvu/61

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aufmerksam machen, daß dies unmöglich sei; und wenn er entgegnete, unser Unglaube sei nur darauf zurückzuführen, daß wir zufällig noch nie eine gelbe und doch zugleich blaue Farbe gesehen hätten, so würde uns das durchaus nicht zu einer Änderung unserer Meinung veranlassen. Nichts könnte uns überzeugen, daß die Sache hier ähnlich liege wie im Falle der grünen, bzw. roten Kleider. Wir müssen zugeben, daß ein prinzipieller, unüberbrückbarer Unterschied besteht: er liegt einfach darin, daß wir nur a posteriori wissen, was dieser oder jener für ein Gewand trug, oder wie die Menschen sich überhaupt kleiden; daß wir aber a priori wissen, daß ein grünes Kleid eben kein rotes Kleid ist, und ein gelbes Fell kein blaues.

Mit anderen Worten: die fraglichen Sätze sind ganz zweifellos a priori. Die Behauptung der Phänomenologen, daß die Geltung derartiger Urteile von völlig anderer Art sei als die der gewöhnlichen Erfahrungsurteile, ist richtig. An dieser Einsicht kann uns nicht irre machen, daß manche dabei von einer besonderen Art der „Erfahrung“, der phänomenologischen, reden wollen, die dann der „Wesensschau“ gleichzusetzen wäre.

Wie aber steht es mit dem zweiten Teil der Behauptung, daß nämlich jene Sätze wirklich eine Erkenntnis vermitteln, daß sie sachhaltig seien, daß sie materialen, nicht nur formalen Charakter trügen?

Dafür scheint zu sprechen, daß in ihnen doch tatsächlich von Farben, von Tönen, also von dem Inhalte, dem Material der Empfindungen die Rede zu sein scheint; dagegen aber scheint die Trivialität der fraglichen Sätze zu sprechen, die wir sonst nur bei tautologischen, nichtssagenden Sätzen finden, welche allein vermöge ihrer Form wahr sind und uns nichts über die Wirklichkeit mitteilen.

Die Entscheidung sollte doch nicht schwer sein, denn im ersten Falle würde die Notwendigkeit der Geltung jener Wahrheiten eine sachliche, irgendwie in der Natur der Wirklichkeit begründete sein, im zweiten Falle aber eine rein logische, und es erscheint kaum glaublich, daß zwischen beiden eine Verwechslung möglich sein sollte. Sollten wir nicht endlich gelernt haben, das rein Logische als etwas ganz besonderes von allen seinen Nachahmungen abzugrenzen?

Die Verwechslung von causa und ratio, bei Spinoza zum Prinzip erhoben, begehen wir heute kaum noch (deshalb müssen wir uns so sehr über den Grundgedanken von Meyersons Identité et Réalité wundern), und ebensowenig

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