Page:Schlick - Gesammelte Aufsätze (1926 - 1936), 1938.djvu/42

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klar: wenn das Formalisieren eine Krankheit ist, so kann niemand gesund sein, der überhaupt irgendeine Erkenntnis um ihrer selbst willen gewinnen will. Die rein formale Aufgabe und Funktion der Erkenntnis wird vielleicht am besten ausgedrückt, indem man sagt: alles Erkennen ist stets ein Ordnen und Berechnen, niemals ein Schauen und Erleben der Dinge.

Alle Erkenntnis ist also ihrem Wesen nach Erkenntnis von Formen, Beziehungen, und nichts anderes. Nur formale Beziehungen in dem definierten Sinn sind der Erkenntnis, dem Urteil im rein logischen Sinne des Wortes zugänglich. Dadurch aber, daß alles Inhaltliche, nur dem Subjekt Angehörige, nicht mehr darin vorkommt, haben Erkenntnis und Urteil zugleich den einzigartigen Vorteil gewonnen, daß nunmehr ihre Geltung auch nicht mehr auf das Subjektive beschränkt ist.

Zwar konnte man argumentieren: die Relationen, die ein Urteilender auszudrücken vermöge, seien zunächst doch eben Beziehungen zwischen seinen Erlebnissen, darüber komme er nicht hinweg und man müsse also bei der Ansicht stehen bleiben, die in der Kantschen Formulierung lautet: Erkenntnis ist nur von Erscheinungen — das heißt nur von Immanentem — möglich. Aber in Wahrheit steht es damit so: entweder man stellt sich auf den Standpunkt des Instantan-Solipsismus, für den nur das jeweils im Augenblick von mir Erlebte „wirklich“ ist, oder man macht auch Aussagen über andre Gegenstände als unmittelbare Erlebnisse. Wir nennen die nicht erlebten Gegenstände „transzendent“, unbekümmert darum, ob man sie (mit dem strengen Positivismus) als logische Konstruktionen auffaßt, oder (mit dem Realismus) ihnen „selbständige Realität“ zuschreibt. Der Unterschied zwischen beiden Standpunkten betrifft ja nach dem früher Gesagten nur Unaussprechbares, kann also selbst nicht formuliert werden. Es ist gleichgültig, ob sich der Sinn der Behauptung, daß diese transzendenten Gegenstände wirklich seien, angeben läßt oder nicht, auf jeden Fall werden sie zu den Erlebnissen in bestimmten Relationen stehend gedacht. Das gilt auch von Kants Ding an sich. Denn in dem Terminus „Erscheinung“ liegt schon eine bestimmte Beziehung auf etwas, das da erscheint. Wollte man diese Beziehung nicht als eine feste anerkennen, so würde das Vorhandensein der Erscheinung gar nicht an ein bestimmtes Ding gebunden sein, sie wäre also gar nicht seine Erscheinung, sondern etwas Selbständiges, die Rede von der „Erscheinung“ wäre überhaupt