Page:Schlick - Gesammelte Aufsätze (1926 - 1936), 1938.djvu/55

From Wikisource
Jump to navigation Jump to search
This page has been proofread, but needs to be validated.

zwar von einer phänomenologiscben „Erfahrung“ als Quelle solcher Sätze, aber das bedeutet weiter nichts, als eine vermehrte Verwirrung, indem nun auch dem Wort „Erfahrung“ eine ganz neue Bedeutung beigelegt wird. Inwiefern diesem so ganz anders definierten a priori auch noch andere wesentliche Eigenschaften des Kantischen zukommen, darüber dürften verschiedene Meinungen möglich sein. Sie glauben sich jedenfalls berechtigt, Kant deswegen tadeln zu dürfen, daß bei ihm das Apriori mit dem Formalen zusammenfällt. Bei Scheler heißt es (a.a.O., Seite 49): „Die Identifizierung des ‘Apriorischen’ mit dem ‘Formalen’ ist ein Grundirrtum der Kantischen Lehre.“ Dieser Satz will offenbar in erster Linie behaupten, daß absolut allgemeingültige Sätze durchaus nicht bloß formaler Natur sein müssen. In der Tat bildet es zweifellos das Entscheidende an der „Wesensschau“ Husserls im Gegensatz zur reinen Anschauung Kants, daß jene zu Sätzen von absoluter Gültigkeit führt, die dennoch etwas über den Stoff, das Material der Erfahrung aussagen.

Husserl selbst schreibt (Logische Untersuchungen, II, 2, Seite 203): „Letztlich hängen all die prinzipiellen Unklarheiten der Kantischen Vernunftkritik damit zusammen . . ., daß ihm der phänomenologische echte Begriff des Apriori gefehlt hat.“ Wir bekommen eine Ahnung davon, wie klar nach Husserls Meinung die phänomenologisch korrigierte Philosophie Kants hatte werden konnen, wenn wir weiter lesen (an derselben Stelle): „Es war verhängnisvoll, daß Kant das rein logische Gebiet im engsten Sinne mit der Bemerkung für abgetan hielt, daß es unter dem Prinzip vom Widerspruch stehe. Nicht nur daß er nie bemerkt hat, wie wenig die logischen Gesetze überall den Charakter analytischer Sätze in dem Sinne besitzen, den er selbst definitorisch festgelegt hatte; er sah nicht, wie wenig mit dem Hinweis auf ein evidentes Prinzip analytischer Sätze für eine Aufklärung der Leistung analytischen Denkens gewonnen sei."

In Wahrheit steht die Sache so, daß analytische Aussagen, d. h. tautologische Sätze, tatsächlich keiner Aufklärung bedürfen, und ihre „Problematik“ besteht höchstens darin, daß man dies einsehen muß (von einer psychologischen Betrachtung des Denkens ist ja hier nicht die Rede). Kant hatte es ganz richtig eingesehen, und seine Ansicht, daß die ganze Logik vom Prinzip des Widerspruchs her zu verstehen sei, dürfen wir sinngemäß als ein Bekenntnis zu ihrem rein tautologischen Charakter auslegen; dabei schadet