der Sprachwissenschaft zu äussern gedenkt. Da ich kaum etwas anderes, jedenfalls nichts besseres sagen könnte als er, beschränke ich mich auf die Hervorhebung eines besonders wichtigen Punktes. Whitney hat von allen am eindringlichsten gelehrt, dass die Sprache kein selbständiger, in sich beruhender Organismus sei, sondern nur begriffen werden könne als ein integrierender unablöslicher Theil der Lebensäusserungen des Menschen. Dies ist die Grundanschauung von Whitney's Betrachtungen über die Sprache. Von ihr aus gelang es ihm zu beweisen, dass die Sprachwissenschaft nicht zu den Naturwissenschaften gehört, wie es eine früher weit verbreitete, jetzt mehr und mehr verschwindende Lehre annahm, sondern dass sie zu den Geisteswissenschaften oder, wenn man diesen Ausdruck vorzieht, zu den historischen Disciplinen zu rechnen ist. Whitney hat immer wieder scharf hervorgehoben, dass die Sprache zum geschichtlichen Leben der Menschheit gehört. Daraus ergiebt sich nothwendig: erstens, die Entwicklung der Sprache überhaupt beruht nicht auf Gesetzen, die nur ihr eigenthümlich und vom bewussten oder unbewussten Willen des Menschen unabhängig wären; zweitens, jede besondere Sprachentwicklung steht in engstem Zusammenhang mit der Geschichte des betreffenden Volkes, mit den äusseren Bedingungen seiner Existenz, mit seiner allgemeinen Culturentwicklung, mit seinem Verhältniss zu andern Völkern, kurz mit allen Momenten, [die] dem Leben des Volkes seine besondere Gestalt geben.
Whitney's Anschauungen haben, namentlich in neuster Zeit, in der Sprachwissenschaft weit mehr gewirkt, als man auf den ersten Blick bemerkt. Die Arbeit der Sprachforscher bewegt sich ja zum grossen Theil in Detailfragen, bei denen weniger Gelegenheit ist sich unmittelbar auf Whitney zu beziehen, aber selbst bei Specialuntersuchungen, noch mehr natürlich bei allgemeineren und principiellen Fragen, hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr eine Behandlungsweise Bahn gebrochen, die der wirklichen Natur der Dinge, d. h. hier den realen Verhältnissen der Sprache gerecht zu werden sucht, und siclier geht ein grosser Theil der Anregung dazu mittelbar oder unmittelbar von Whitney aus.
Ihr ergebenerA. Leskien.